Claudio Abbado (†) Foto: dpa

Mit Claudio Abbado ist 80jährig nicht nur ein Anti-Maestro, sondern auch ein umfassend gebildeter Musiker gestorben.

Zuletzt hatte der immer zerbrechlicher wirkende Maestro wiederholt Auslandstourneen mit dem 2003 von ihm gegründeten Lucerne Festival Orchestra, einem weltweit einzigartigen Eliteorchester, absagen müssen. Andererseits wurde in Luzern bis zuletzt an den Dirigierterminen (Ostern 7. April mit dem ebenfalls von ihm gegründeten Orchestra Mozart Bologna) und 15. August (Eröffnung des Lucerne Festivals 2014 mit einem Brahms-Programm) festgehalten, obwohl schon seine expressive Darbietung von Bruckners unvollendeter Neunter das am 26. August vergangenen Jahres das Schlimmste anzukündigen schien.

Nun ist Claudio Abbado, dessen 2000 erstmals aufgetretener Magenkrebs als geheilt galt, für alle doch überraschend in der Nacht auf Montag 80-jährig „unbeschwert im Kreise seiner Familie“ in Bologna gestorben.

Für Luzern, wo er künstlerisch mit Beginn des Jahrtausends seinen künstlerischen Mittelpunkt als Dirigent und Gründer verschiedener Jugendorchester (unter anderem des Gustav-Mahler-Orchesters) hatte, bedeutet sein Tod das Ende einer schier unglaublich intensiven, geradezu sensationell erfolgreichen Zusammenarbeit. Die Musikwelt hat den Verlust eines Musikers zu beklagen, der zu den uneitelsten, verschlossensten, im gewissen Sinn vom Wesen her auch rätselhaftesten Weltklassedirigenten seiner Generation zählte.

Gemeinsam mit Zubin Mehta vom legendären Dirigierlehrer Hans Swarowsky in Wien ausgebildet und dort von der Musik der Zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg inspiriert, hatte der gebürtige Mailänder zwar Chefpositionen bei führenden Weltklasseorchestern etwa in London, Chicago und bei den Berliner Philharmonikern inne, wo er von 1989 bis 2002 als völlig unautoritär auftretender Karajan-Nachfolger wirkte.

Auch amtierte er von 1971 an – jeweils nur für kurze Zeit – als Chef der Mailänder Scala und 1986/87 als Musikdirektor der Wiener Staatsoper. Bevor er Opfer von Intrigen wurde, ging er lieber freiwillig. Wichtige Impulse für die musikalische Moderne empfing Abbado früh in der Zusammenarbeit mit Maurizio Pollini und Luigi Nono. Die Orte, an denen Claudio Abbado sich am wohlsten fühlte, waren jedoch nicht die glamourösen Konzertsäle der Welt, sondern Orte des Rückzuges und der Kontemplation.

Aus seinem bescheidenem Heim im Fextal, nahe Friedrich Nietzsches Sils-Maria im schweizerischen Engadin, ins Musikleben zurückkehrend, fand er in den vergangenen Jahren mit seinen heiß geliebten Orchestermusikern (darunter die Klarinettistin Sabine Meyer, Natalia Gutman, das Hagen Quartet oder Reinhold Friedrich, Trompete) stets zu einem herrlich beglückenden Musizieren: noch leiser sprechend als früher, ohne ein lautes Wort oder besserwisserisch-nerviges Probieren.

Abbado gehörte zweifellos zu den klassischen Abenddirigenten, die sich in einem Team von Gleichgesinnten am liebsten dem musikalisch-gestalterischen Fluss hingab. Für ihn zeigte die Musik, das Hören wichtiger ist als Sagen.

In Stuttgart erlebte man Abbado, der sich damals gerade auch der historisch informierten Aufführungspraxis geöffnet hatte, zuletzt gemeinsam mit seinen Berlinern im Hegelsaal, damals Ausweichquartier, und zwar mit der dritten Sinfonie von Brahms. In Luzern aber wird man sich überlegen müssen, wie (und ob überhaupt) Claudio Abbado zu ersetzen ist, der neben dem bald 90-jährigen Pierre Boulez und seiner Festival Academy das Rückgrat des weltweit höchst erfolgreichen Lucerne Festivals bildete.