Nina Hoss und Christian Petzold am Set von „Barbara“ Foto: Christian Schulz

Auf der Berlinale hat Christian Petzold für „Barbara“ den Silbernen Regie-Bären bekommen.

Stuttgart - Den Silbernen Regie-Bären hat Christian Petzold im Februar auf der Berlinale bekommen für „Barbara“. Nina Hoss spielt in dem Film eine Ärztin in der DDR, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und deshalb in ein Provinzkrankenhaus versetzt wird, wo sie in einen menschlichen Zwiespalt gerät.


Herr Petzold, Sie wurden im rheinländischen Hilden geboren und haben in Westberlin studiert. Welchen Bezug haben Sie zur DDR der 1980er Jahre, in der Ihr Film spielt?

Anders als mein Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld, der stark in seiner ostdeutschen Vergangenheit verankert ist, kannte ich die DDR nur durch die Besuche bei unseren Verwandten, die fast alle dort lebten. Meine Eltern waren vor dem Mauerbau geflohen, daher war die DDR für mich immer eine Art Projektionsraum. Die deutsche Piefigkeit will, dass nur der eine Geschichten schreiben darf, der sie selbst erlebt hat. Dabei sind die größten Erzählungen von Außenstehenden geschrieben – in F. Scott Fitzgeralds „Großem Gatsby“ ist der Erzähler der Einzige, der nicht liebt. Als Außenstehender musste ich meinen Schauspielern meine Haltung erklären, und sofort hatten wir eine Diskussion über die DDR.

Warum beschäftigen Sie sich so gerne mit Menschen, die nach einer neuen Identität suchen und damit die Brüche in der deutschen Geschichte sichtbar machen?
Ich interessiere mich für Menschen, die sich in ihrer Haut nicht zu Hause fühlen. Das hat damit zu tun, dass meine Eltern und ich nie wirklich in Westdeutschland angekommen sind. Ich war immer ein Außenseiter, und meine Eltern haben sich überangepasst, was dazu führte, dass sie noch fremder wurden.

Ihr Film ist ganz anders als „Das Leben der anderen“ oder „Goodbye Lenin“ – welche filmischen Vorbilder hatten Sie?
Ich habe Ronald Zehrfeld und Nina Hoss Liebesszenen aus Chabrol-Filmen gezeigt, aber auch einen Howard-Hawks-Film, in dem Bogart und Bacall sich als Liebende ständig misstrauen. Wichtig für die DDR-Atmosphäre war „Der Händler der vier Jahreszeiten“ von Fassbinder. Und „French Connection“: Gene Hackman wird von einem Scharfschützen attackiert, und um ihn herum sterben die Passanten. Jeder heutige Filmstudent würde ihn zeigen und dann in die Perspektive des Fadenkreuzes wechseln, um Spannung aufzubauen. William Friedkins Kamera bleibt dagegen die ganze Zeit bei Hackman, kümmert sich erst um den Verfolger, als dieser eingekesselt ist und menschlich wird. Auch in der angespannten Situation von „Barbara“ ging es immer darum: Wo stehen wir? Ich habe den Schauspielern vor den Szenen jede Kameraposition erklärt.

Sie haben schon zum fünften Mal mit Nina Hoss gedreht – werden Sie das fortsetzen?
Wir sollten unser Verhältnis erst beenden, wenn es erstarrt. Das ist so ähnlich wie mit meinem Kameramann Hans Fromm – wir entwickeln uns gemeinsam weiter. Nach „Jerichow“ wollte ich aber etwas ändern. Bisher hatte ich Nina immer in eine Tragödie geschickt und darauf gewartet, bis sie tot ist – bis ich den Buchdeckel zuschlagen konnte. Diesmal wollte ich, dass der Autor nach Hause geht und die Protagonisten weitermachen.

Schreiben Sie Rollen direkt für Nina Hoss?
In diesem Fall schon. Die Idee kam durch eine Erzählung von Hermann Broch, die während der Weimarer Republik spielt. Als ich mit Nina „Toter Mann“ in Wittenberge drehte, herrschte dort diese Untergangsatmosphäre, und danach habe ich mich in einem Ferienhaus am Scharmützelsee ohne meine Familie so einsam wie noch nie gefühlt und das Treatment zu „Barbara“ geschrieben. Dabei musste ich die ganze Zeit an Nina denken.

Kann sie sich viele Freiheiten erlauben?
Ja, wahnsinnig viele, auch wenn ich nicht weiß, ob sie es selbst so sieht. Wenn die Geschichte steht, arbeiten wir vor dem Dreh über einen langen Zeitraum zusammen. Ich muss ihre Figur im Drehbuch gar nicht mehr beschreiben, sie wird aus der Situation geboren. Bei „Barbara“ wollte ich, dass alle Orte und Kostüme vor den Proben bereitstehen. Bei einem historischen Film muss sich ein Darsteller regelrecht einfühlen und Empathien für die damalige Realität entwickeln.

War es schwierig, diese Zeit in der DDR zu rekonstruieren?
Ich habe mich gegen große Kulisse entschieden. Aufwendig rekonstruierte Straßenzüge hat man in Filmen über die Nazizeit genug gesehen. Warum wirkt das L. A. der 1940er Jahre in Roman Polanskis „Chinatown“ nie wie ein deutscher Kulissenfilm? Weil Hitze, Dürre, Erstarrung und menschlicher Schweiß in diese Kulisse eingeführt werden. Auch im „Händler der vier Jahreszeiten“ vermittelt Fassbinder mit einfachsten Mitteln ein Gefühl von Geschichte. Wenn man dieses Gefühl schafft, wirkt die Geschichte wie eine Erinnerung an die eigene Kindheit. Wir haben aber eine exakte historische Rekonstruktion der Innenräume gemacht, das Krankenhaus ist genau so, wie es damals war. Da stimmt alles – bis hin zur Spritze!

Welche Sonderwünsche können Sie sich als etablierter Autorenfilmer leisten?
Ich habe mir einen einzigen sogenannten Money-Shot erlaubt: eine nächtliche Kreuzung mit Ost-Straßenbahn. Wir haben fünf Tage an der Beleuchtung gearbeitet, Werbeplakate und Parabolantennen abmontiert und eine Straßenbahn für 35 000 Euro bestellt – nur damit Nina Hoss einmal kurz über den Platz läuft. Da verbrennt man 200 000 Euro. Wenn man so etwas ständig zeigt, gehört der Film nicht mehr den Figuren, sondern er macht Eigenwerbung.

Wie haben Sie diese geheimnisvolle, von Misstrauen geprägte Atmosphäre aufgebaut, in der sich Barbara bewegen muss?
Wichtig waren die Szenen, in denen Nina bei Gegenwind an der Küste entlangradelt. In einer Szene stand sie auf einer Anhöhe vor der Ostsee wie auf einem Bild von Caspar David Friedrich. Die habe ich herausgenommen, weil eine Frau am Meer zu billig romantisch wirkt. Ich fand es spannender, das Meer zu spüren und zu hören. Als wir drehten, kam Nina wegen eines Sturms auf dem Fahrrad kaum voran, und mir schien es, als wolle die Natur wie in „Alice im Wunderland“ auf ihre Weise ihren Kommentar abgeben.

Was fasziniert Sie an starken Frauenfiguren?
Alles hängt davon ab, wie man sich in die Welt hineinprojiziert. Ich bin nicht wie Hitchcock, der Frauen als unerreichbare Wesen erreichbar macht und begehrt. Ich bin kein Fetischist. Oft werden Frauenfiguren 90 Minuten lang gequält, weil der Regisseur ihnen zeigen will, wo es langgeht, und die Kamera weidet sich daran. Meine Frauenfiguren gehören mir nicht, sie sind im Exil und versuchen, mit dieser Welt Kontakt aufzunehmen.

Worum dreht sich Ihr nächster Film?
Er spielt 1945 in Berlin und handelt von einer Auschwitz-Überlebenden, die ihr Leben zurückhaben will. Vor drei Jahren habe ich einen Krimi aus dem Jahr 1946 mit einer wunderbaren Geschichte gelesen. Damals habe ich mich nicht getraut, von einer Jüdin in Berlin zu erzählen, denn in dieser Stadt lebe ich selbst, und der Holocaust beschäftigt mich vehement – das war alles zu nah und zu aufgeladen. Jetzt bin ich bereit dafür.

Nina Hoss wünscht sich von Ihnen aber eine Komödie . . .
Eine gute Komödie zu machen ist so schwer, dass ich das ständig aufschiebe. Mir fehlt die Gemeinheit. Richtige Komödien, wie die von Howard Hawks, müssen brutal, auf keinen Fall politisch korrekt sein. Da müssen die Tabus beim Schreiben und beim Spielen wie im Rausch gebrochen werden.