Friedrich Merz bei seiner Parteitagsrede ein Berlin Foto: AFP/TOBIAS SCHWARZ

In seiner Parteitagsrede redet der CDU-Vorsitzende seiner Partei ins Gewissen und vermeidet weitgehend tagespolitische Breitseiten gegen die Konkurrenz. Die Delegierten danken es ihm mit einem guten Ergebnis bei der Vorstandswahl.

Es ist eine wichtige Rede für Friedrich Merz. Er muss die Delegierten dieses Bundesparteitags in Berlin, er muss die ganze Partei einstimmen auf den Wahlmarathon dieses Jahres: die Europawahl im Juni, die Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im Herbst. Und er muss die Themen setzen, die das Leitmotiv der Christdemokraten bis zu den Bundestagswahlen des kommenden Jahres bilden sollen.

Aber der Vorsitzende muss auch in eigener Sache werben. Fast unmittelbar nach seinem Auftritt stehen die Vorstandswahlen auf der Tagesordnung. Die Hürde liegt sehr hoch. 94,6 Prozent hatte er vor zwei Jahren erhalten. Aber das war eine Sondersituation. Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl und dem Sturz in die Opposition gab es zu Merz gar keine Alternative mehr.

„Zuversicht, Selbstbewusstsein und Zukunftszugewandtheit“

Wenn Merz dennoch wenigstens einigermaßen das hohe Niveau halten kann, so die allgemeine Stimmung in der Partei, ist die Kanzlerkandidatur de facto entschieden. Merz muss also liefern. Liefert er? Ja. Auf eine doch erstaunliche Art.

Seine Rede vermeidet weitgehend die üblichen Spitzen gegen die politische Konkurrenz, die Parteitagsreden gemeinhin würzen. Keine Attacken, keine kleinen Bosheiten, keine einfachen Punktgewinne. Stattdessen viel staatstragender Ernst. Merz redet der Partei ins Gewissen. Er will sie mit „Zuversicht, Selbstbewusstsein und Zukunftszugewandtheit“ impfen.

„Die Probleme unserer Zukunft sind lösbar“

Und er versucht sich an etwas, das die Partei seit Angela Merkels Dauervorsitz verlernt hatte: einen Überbau christdemokratischer Politik zu zeichnen – passend zu einem Parteitag, der sich ein neues Grundsatzprogramm geben wird.

Viel grundsätzlicher als Merz kann man nicht werden. Er forscht nach dem letzten Wert der CDU-Politik und landet bei der „Freiheit“. Die sei das „Wichtigste“, aber sie sei bedroht. Auch weil viele Menschen Angst hätten – vor Wohlstandsverlust, vor Kriegen, auch vor dem Verlust von Sicherheit. Diese Ängstlichkeit soll mit Mut und Zuversicht überwunden werden. Gerade den Jungen im Land ruft er zu: „Die Probleme unserer Zukunft sind lösbar und unser Land ist ein guter Platz für Euch.“

„Das Bürgergeld in dieser Form werden wir wieder abschaffen“

Anhand dieses Maßstabs der Freiheit dekliniert Merz durch, was CDU-Politik unterscheiden soll. Zum Beispiel in der Sozialpolitik: Der Vorsitzende fordert eine „neue Justierung von Solidarität und Eigenverantwortung“. Gute Sozialpolitik befähige den Menschen zu Selbstverantwortung. Das habe mit Sozialabbau nichts zu tun. Aber er lässt auch keinen Zweifel: „Das Bürgergeld in dieser Form werden wir wieder abschaffen.“ Stattdessen soll es eine „Grundsicherung für die geben, die Hilfe benötigen.“

Zum Beispiel Klimapolitik: Merz lässt keinen Zweifel daran, dass die Politik „Antworten haben muss“ auf den Klimawandel, „dessen Folgen wir längst konkret bei uns erleben“. Die Antworten der CDU seien aber „das Gegenteil dessen, was die Grünen wollen“. Statt Dirigieren und Bevormunden müsse die Umweltpolitik die Bürger mitnehmen, Rahmen und Grenzwerte vorgeben, „und es den Ingenieuren überlassen, wie das Ziel erreicht wird.“

„Eine Kraft der Zersetzung, die unsere Prinzipien lächerlich machen will“

Zum Beispiel Zuwanderung: Der Satz, der so lange in der CDU Tabu war, geht Merz ganz leicht von den Lippen: „Deutschland ist ein Einwanderungsland“. Und sie könne tatsächlich „eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft sein.“ Aber das Ausmaß der derzeitigen Einwanderung „überfordert unsere Integrationsfähigkeit und darf nicht so weitergehen.“ Womit Merz schon bei der Frage ist, was denn Integration bedeute. Er will da eine Befürchtung nehmen. Was die CDU mit Leitkultur meine, grenze nicht aus, sondern sei im Gegenteil „eine Klammer um die Vielfältigkeit“.

Der Parteitag lauscht aufmerksam und klatscht oft. Aber nie, an keiner Stelle, ist der Beifall größer, als dort, wo Merz mit äußersten Nachdruck und einer selten gehörten Entschlossenheit zum Kampf gegen die AfD aufruft. Er nennt die Partei „eine Kraft der Zersetzung, die unsere Prinzipien lächerlich machen will“. Diese „rechtsradikale Partei“ werde in den kommenden Wahlkämpfen „auf den erbitterten Widerstand unserer Partei und aller unserer Mitglieder stoßen“. Die CDU habe die „Kraft, Bedeutung und Entschlossenheit sich dieser Partei entgegenzustellen“.

Am Ende stehen Ovationen, die durchaus mehr als der Ausdruck der rituellen Pflichtübung eines wohlwollenden Parteitagspublikums sind. Merz hat einen Nerv getroffen. Das zeigt auch sehr ordentliche Wahlergebnis von rund 90 Prozent.