Vor der Jury überzeugend locker wirken, obwohl man nervös ist – angehende Klosterschülerinnen auf Zeit tanzen und singen für eine Rolle im Musical „Sister Act“. Klicken Sie sich durch die Bildergalerie. Foto: Leif Piechowski

40 Darstellerinnen singen und tanzen um 20 Plätze im Ensemble des Stuttgart-Musicals „Sister Act“.

Stuttgart - Graue Wände, große Spiegel. Verschwitzte Leiber setzen wirr Schrittfolgen auf den schwarzen Linoleumboden. Die Luft ist zum Schneiden. Einem Altarraum ähnelt die Probenbühne auf der Rückseite des Apollo-Theaters weiß Gott nie. Überirdische Gefühle wollen sich auch an diesem Tag beim besten Willen nicht einstellen, obwohl man dies angesichts des Themas, um das es geht, vermuten könnte. Mitglied im Nonnenchor von „Sister Act“ zu sein hat im Apollo-Theater wenig Meditatives, dafür um so mehr Schweißtreibendes.

„Five . . . six . . . seven . . . eight . . . dance!“ – alle hören auf das Kommando von Frances Chiappetta. Pete Lee legt am Konzertflügel los. Klapp, klapp, schnipp, schnipp. 40 Kandidatinnen tanzen beim dritten und finalen Auswahltermin gemeinsam zu „Zeig mir den Himmel“, einer Passage aus dem Musical „Sister Act“. Frances Chiappetta ist die Assistentin von Casting-Director Ralf Schädler. Sie gibt den Takt vor und müht sich nach Kräften um eine entspannte Atmosphäre. Es gelingt ihr nur bedingt. Die Tänzerinnen scheinen zwar bester Laune zu sein. Manche wirken richtig euphorisch, wie Christina Maria Bender, die derzeit Ensemble-Mitglied bei „Rebecca“ ist und sich für ein Anschlussengagement verausgabt: „Es war super anstrengend, hat aber total Spaß gemacht.“

„Talent sieht man oft ganz schnell“

Alles locker, alles easy? Von wegen. Manchen ist anzumerken, dass sich Nervosität nicht einfach weglächeln lässt, auch nicht tänzerische Defizite. Den geschulten Augen von Carleen Brouwer und ihren Kollegen am Jurytisch entgeht kaum etwas, egal ob in großer Gruppe oder in kleinen Einheiten vorgetanzt wird. „Talent sieht man oft ganz schnell“, sagt die Regisseurin, ausgestattet mit der Routine ungezählter Auditions, wie die Darstellersuche im Fachjargon lautet. Für „Sister Act“ sucht das Produktionsteam allerdings nicht die perfekte Ensembletänzerin oder die perfekte Ensemblesängerin. Gefragt ist 20-mal die perfekte Kombination aus beidem, „weil die Nonnen auch äußerlich sehr unterschiedliche Charaktere abbilden“, sagt Carleen Brouwer. Aus diesem Grund finden sich unter den Kandidatinnen – anders als bei Auditions für andere Produktionen – jüngere, ältere, große, kleine schlanke und fülligere Damen.

Ob die Jury den Daumen hebt oder senkt, hängt nur vom Können ab. Ob eine Kandidatin womöglich gut ist für Schlagzeilen im Boulevard, wie bei TV-Castingshows oft zu beobachten, spielt keine Rolle. Persönliches bleibt weitgehend außen vor. „Alle müssen das Gefühl haben, hier willkommen zu sein“, sagt die Regisseurin, „aber nur mit der nötigen Distanz können wir objektiv entscheiden.“ Ein Vergleich mit dem Musicalklassiker „A Chorus Line“, der die Auswahl eines Ensembles zum Thema hat, ist durchaus statthaft, wenngleich man in der Jury im Apollo-Theater einen diktatorischen Regisseur wie den im Film von Michael Douglas dargestellten Zach vergeblich sucht.

In der Pause zwischen Vortanzen und Vorsingen tritt Tanja Schön aus dem schmucklosen Probensaal. Rasch zur Toilette, sich kurz frisch machen, dann geht es weiter. „I need this Job – ich brauche diesen Job“ heißt es in „A Chorus Line“ an einer entscheidenden Stelle. „Natürlich ist einem die Show, das Stück wichtig, wenn man sich bewirbt“, sagt Tanja Schön nach einem kurzen Verschnaufer. Doch Ensemblemitglied in einer Musicalproduktion zu sein hat für sie wie für viele ihrer Kolleginnen nicht nur romantische Seiten. Alle ein bis zwei Jahre – so lange läuft ein Musical in der Regel an einem Spielort – „geht es schlicht auch um den nächsten Job, der einen ernährt“. Tanja Schön ist zurzeit in Stuttgart bei „Ich war noch niemals in New York“ engagiert. „Sister Act“ käme ihr gelegen, „dann könnte ich in Stuttgart wohnen bleiben“. Spricht’s und hastet zurück in den Probensaal.

Nach der Pause müssen die Kandidatinnen vorsingen. Zuvor hallen schräg anmutende Töne durch die Gänge. Stimmbänder lockern als letzte Übung für die entscheidende Gesangseinheit. „Sonntagmorgenfieber“ heißt ein Song, der auf dem Programm steht. Das Entree des zweiten Akts wird für 20 Damen der Eintritt in den Nonnenchor.

Tickets können telefonisch unter der Nummer 0 18 05 / 44 44 oder online bestellt werden. www.stage-entertainment.de