Kataryna packt bei den Straßenbauern mit an. Foto: Gottfried Stoppel

Die Bauindustrie sucht händeringend Nachwuchs, bei der Organisation Joblinge werden Jugendlichen neue Zukunftsperspektiven aufgezeigt. Eine Kooperation, von der beide Seiten profitieren sollen.

Zuerst sind sie alle ganz zögerlich, lehnen das Angebot, mal selbst in einen Raupenbagger zu steigen und ein bisschen Erde von A nach B zu schaufeln, ab. Doch dann traut sich der erste Jugendliche, klettert in den Bagger – und beweist erstaunliches Talent. Wieder auf sicherem Boden steckt er die anderen Teilnehmer mit seiner Begeisterung an. Und so klettert einer nach dem anderen in den Bagger und schaufelt eine Runde.

Ansage gegen Jugendarbeitslosigkeit

Die elf Jugendlichen, die an diesem Nachmittag eine Tour über das Gelände des Bildungszentrums in Geradstetten bekommen, werden begleitet von Mitarbeiterinnen der Organisation Joblinge, die auch in Stuttgart einen Standort unterhält. Diese hat sich dem Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit verschrieben und kooperiert seit Beginn des Jahres mit der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, die das Bildungszentrum betreibt.

„Die Initiative für die Kooperation ging von der Bauwirtschaft aus, im Zuge ihrer ,Bau-dein-Ding-Kampagne’“, erklärt Franziska Hildenbrand, die bei Joblinge für die Zusammenarbeit mit Unternehmen zuständig ist. Bei der Kampagne geht es darum, junge Menschen für die Baubranche zu gewinnen. Denn wie viele andere Sektoren leidet auch sie unter Fachkräftemangel. Die Akquise von Mitarbeitern soll durch Berufsorientierung zum Anfassen und Mitmachen gelingen.

Selbst anpacken wird hier groß geschrieben

Das Bildungszentrum Bau Geradstetten, eines von elf in Baden-Württemberg, steht ganz im Zeichen dieses Ansatzes und ist ein bisschen wie ein großer Abenteuerspielplatz für jene, die sich eine Karriere auf dem Bau vorstellen können. Dieser Aspekt ist Hans Bader, dem Ausbildungsleiter der Abteilung Straßenbau, besonders wichtig: „Selbst anpacken zu können, ist einfach etwas ganz anderes, als etwas nur erzählt zu bekommen.“

Die theoretischen Grundlagen bekommen die Jugendlichen an diesem Tag freilich auch mitgeteilt – ganz ohne geht es eben nicht. Doch als alle 20 Bauberufe, die auf dem Gelände ausgeübt werden, vorgestellt sind, geht es raus aus dem Besprechungsraum und auf die Baustellen. Dabei dürfen die Jugendlichen Vorlieben angeben und selbst mitentscheiden, welchen Fachkräften sie über die Schulter schauen möchten.

Eine vielfältige Branche, die viel zu bieten hat

Die Straßenbauer legen beispielsweise momentan die Kopfsteinpflaster so an, dass sie am Ende große Ostereier ergeben. Die Auszubildenden im zweiten Lehrjahr nehmen die Jugendlichen dabei an die Hand, und so haben diese die Gelegenheit, selbst Pflaster zu klopfen oder auch eine Spur wieder herauszureißen.

Eine Halle weiter ist eine Gruppe Auszubildender unter der Aufsicht des Ausbildungsleiters für Tief- und Straßenbau, Michael Heim, damit beschäftigt, das exakte Planieren zu üben. Am Ende ihrer Ausbildung wird das zu ihrer Gesellenprüfung gehören. Schnell wird deutlich, wie viel Fingerspitzengefühl für diesen Job notwendig ist. Aber auch die Vielfalt der Branche ist kaum zu übersehen: Überall wird gewerkelt und gebaggert, werden andere Fähigkeiten erlernt und perfektioniert.

Unterstützung beim Einstieg ins Arbeitsleben

Bei den Jugendlichen kommt die Möglichkeit, gleich in so viele verschiedene Berufsbilder innerhalb der Baubranche Einblick zu erhalten, gut an. „Es ist ein sehr gutes Angebot, um viele Jobs kennenzulernen“, sagt Abdel Nasser über das Angebot des Bildungszentrums. Doch auch das Engagement der bundesweit tätigen, gemeinnützigen Organisation Joblinge, welche die Jugendlichen regelmäßig an verschiedene Unternehmen heranführt, bewertet er positiv: „Dadurch bekommt man manchmal auch Angebote für Vorstellungsgespräche oder Praktika.“

Die Arbeit der Organisation Joblinge, deren Ziel es ist, Jugendliche mit schwierigen Startbedingungen auf dem Weg in die Arbeitswelt zu unterstützen, scheint also zu fruchten. Trotzdem gibt es manchmal einige Hindernisse, die es zu überwinden gilt, wie Franziska Hildenbrand betont: „Natürlich stellt besonders bei geflüchteten Menschen anfangs die Sprache eine große Hürde dar, aber auch ein Überblick über das deutsche Ausbildungssystem muss da erst einmal erlangt werden.“

Viele der Jugendlichen, die an diesem Tag durch das Bildungszentrum touren, sind wegen einer Weiterbildungsmaßnahme des Jobcenters dort. Die Hoffnung ist aber, dass sie es nicht nur als Pflichtaufgabe wahrnehmen, sondern als echte Chance, die eigenen Interessen besser kennenzulernen und erste Kontakte in der Arbeitswelt zu knüpfen. Auch wenn am Ende mit Sicherheit nicht alle elf Jugendlichen in der Baubranche landen werden, hat so manch einer von ihnen sichtlich Spaß am Baggern entwickelt. Trotz der anfänglichen Verlegenheit.