Israelische Friedensaktivisten zeigen im Gan Meir Park in Tel Aviv die Regierungspläne zum Bau neuer jüdischer Siedlungen im Westjordanland (Archivfoto). Foto: IMAGO / ecomedia/robert fishman

Noch nie seien die Behörden so hart gegen Aktivisten vorgegangen wie seit dem 7. Oktober. Friedensaktivisten berichten von von Festnahmen, Schikanen und Todesdrohungen.

Mit einem Olivenzweig in der Hand demonstriert Roni für einen Waffenstillstand im Gazastreifen. Die schwer bewaffneten Polizisten am Straßenrand behält die 24 Jahre alte Israelin bei dem kleinen Protestzug in Tel Aviv fest im Blick. „Man muss sehr vorsichtig sein. Es ist im Moment fast unmöglich, in Israel zum Frieden aufzurufen“, sagt Roni. Aktivisten wie sie berichten von Festnahmen, Schikanen und Todesdrohungen.

„Andersdenkende werden mundtot gemacht“, sagt auch Noa Sattath, Leiterin von ACRI, der ältesten Bürgerrechtsorganisation in Israel. Noch nie seien die Behörden so hart gegen Aktivisten vorgegangen wie seit Beginn des Krieges gegen die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas. Hunderte Kriegsgegner seien verhört und viele angeklagt worden.

Polizeichef Kobi Shabtai ordnete eine Null-Toleranz-Politik gegenüber pro-palästinensischen Protesten an und drohte damit, Antikriegsdemonstranten in den Gazastreifen zu schicken. Sie verteidige „das Grundrecht auf Meinungsfreiheit mit Nachdruck“, teilte die Polizei auf Nachfrage der Nachrichtenagentur AFP mit. „Insbesondere in Zeiten des Krieges gegen eine grausame terroristische Organisation“ müsse sie jedoch auch „gegen diejenigen vorgehen, die dieses Recht ausnutzen, um zu Gewalt aufzurufen oder die öffentliche Sicherheit zu gefährden“.

Fast 300 Verhaftungen seit Beginn des Krieges

International wächst der Druck auf Israel, im Kampf gegen die Hamas die Zivilbevölkerung im Gazastreifen besser zu schützen. Durch die israelischen Angriffe nach dem grausamen Überfall der Hamas am 7. Oktober kamen nach palästinensischen Angaben etwa 20.000 Menschen im Gazastreifen ums Leben, die meisten davon Zivilisten.

Während weltweit Menschen gegen den Krieg auf die Straße gehen, wird der Protest innerhalb Israels immer schwieriger. Menschenrechtsgruppen werfen der Polizei vor, friedliche Aktivisten ins Visier zu nehmen, insbesondere arabische Israelis, die rund ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen.

Die Organisation Adalah, die sich für den Schutz der Rechte palästinensischer Bürger in Israel einsetzt, registrierte fast 300 Verhaftungen seit Beginn des Krieges. Die Polizei verweigere zudem immer wieder Genehmigungen für Anti-Kriegs-Kundgebungen, nehme Protestführer vor den Demonstrationen fest und gehe mit „brutaler Gewalt“ gegen Demonstranten vor. Zahlreiche arabische Israelis wurden Adalah zufolge wegen „Unterstützung terroristischer Organisationen“ oder „Aufstachelung zum Terrorismus“ angeklagt.

Als Verräterin beschimpft und im Internet mit dem Tod bedroht

„Der Staat interpretiert jede Unterstützung für Gaza als Unterstützung des Terrors“, sagt der Leiter von Adalah, Hassan Dschabareen. „Es ist, als würde man unter einem Militärregime leben.“

Die Kriegsgegner müssen sich nicht nur vor der Polizei und Justiz in Acht nehmen. Auch die Öffentlichkeit begegnet ihnen mit Hass. „Die Leute sagen uns, es sei eine Schande, diese Proteste zu veranstalten“, sagt Roni. Sie werde als Verräterin beschimpft und im Internet mit dem Tod bedroht. Deshalb will sie ihren Nachnamen nicht öffentlich nennen. Sogar alte Freunde aus ihrer Heimatstadt hätten ihr hasserfüllte Nachrichten geschickt. „Ich hoffe, du und deine Familie werden vergewaltigt“ und nach Gaza verschleppt, heißt es in einer Nachricht, die AFP vorliegt.

Roni und ihre Mitstreiter suchen nach Wegen, die Restriktionen der Polizei zu umgehen. So hat die Gruppe keinen Namen, weil sie es für sicherer hält, anonym zu bleiben. Die Aktivisten halten Mahnwachen oder kleinere Kundgebungen ab, bringen meist keine palästinensische Flaggen mit, die oft aggressive Reaktionen auslösen.

Schon vor dem Krieg protestierte die Gruppe gegen die extrem rechte israelische Regierung. „Um jetzt überhaupt noch auf die Straße gehen zu können, müssen wir uns bei dem, was wir sagen, zurückhalten“, sagt Roni. „Man darf nicht den Eindruck erwecken, als würde man Sympathie für Gaza hegen.“

Am 9. November sei sie zusammen mit 17 weiteren Aktivisten bei einer Demonstration in Jaffa verhaftet worden, erzählt Roni. Von AFP überprüfte Aufnahmen in sozialen Medien zeigen, wie die Polizisten den Demonstranten gegenüber handgreiflich werden und ihnen die Schilder abnehmen.

Aufgeben will Roni dennoch nicht. „Stoppt den Krieg“, ruft sie und marschiert mit dem Olivenzweig in der Hand weiter in Richtung Verteidigungsministerium.