Ist es diskriminierend, als Mädchen nicht im Knabenchor mitsingen zu dürfen? (Symbolbild) Foto: dpa

Ein Mädchen klagt vor Gericht, weil ein Berliner Knabenchor sie nicht aufnehmen will. Das Argument: Diskriminierung.

Berlin - Vor dem Berliner Verwaltungsgericht wird am Freitag über die Zukunft der jahrhundertealten Tradition von Knabenchören verhandelt. Ein neunjähriges Mädchen, das sich vergeblich um die Aufnahme in den Berliner Staats- und Domchor der Universität der Künste (UdK) beworben hat, klagt wegen Diskriminierung. Der reine Knabenchor geht auf einen 1465 von Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg gegründeten Chor zurück und gilt als älteste musikalische Einrichtung Berlins. (VG 3 K 113.19)

Laut Gericht wird damit erstmals um die Aufnahme eines Mädchens in den Staats- und Domchor zu Berlin gestritten. In dem Fall geht es unter anderem um den diskriminierungsfreien Zugang zu einer öffentlichen Bildungseinrichtung gemäß Grundgesetzartikel 3 Absatz 3 und die Freiheit der Kunst in Artikel 5 Absatz 3. Berühmte Knabenchöre sind etwa die Regensburger Domspatzen, die Thomaner in Leipzig, der Dresdner Kreuzchor und der Windsbacher Knabenchor.

Die Anwältin der Klägerin, Susann Bräcklein, argumentiert, dass die Universität als öffentliche Einrichtung den diskriminierungsfreien Zugang zur musikalischen Ausbildung gewährleisten muss. Weiter verweist sie auf wissenschaftliche Studien, wonach „trainierte Singstimmen von Mädchen und Jungen vor dem Stimmbruch“ sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Die für den spezifischen Klang bestimmenden Faktoren seien vielmehr Gesangstraining und das ausgewählte Repertoire an Musikstücken. Dies belege auch die Öffnung der englischen Kathedralchöre für Mädchen in den 1990er Jahren, heißt es in einer Pressemitteilung.

Mädchen hat massig Singerfahrung

Das klagende Mädchen hatte laut Gericht bis Januar 2018 im Kinderchor der Komischen Oper Berlin und von Februar 2018 bis August 2018 in der Domsingschule in Frankfurt am Main gesungen. Im November 2018 habe die Mutter um die Aufnahme ihrer Tochter in den Berliner Staats- und Domchor gebeten. Nach einem Vorsingen im März dieses Jahres hatte die Auswahlkommission das Mädchen unter anderem wegen fehlender Eignung abgelehnt. Laut Anwältin Bräcklein erklärte die Universität schriftlich gegenüber dem Gericht, das Mädchen verfüge über keine herausragende Begabung.

Im Widerspruch zu dieser Begründung steht nach Meinung von Bräcklein, dass die Hochschule dem Mädchen eine andere Einrichtung, das Julius-Stern-Institut an der Universität der Künste Berlin, empfohlen habe. Dabei handelt es sich laut Eigenwerbung des Instituts bundesweit um „eine der größten und renommiertesten Einrichtungen der musikalischen Nachwuchsförderung“.

Nach Ansicht der Klägerin verletzt die Ablehnung des Mädchens auch den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an staatlichen Leistungen und staatlicher Förderung. Die Zugangsbeschränkung auf Jungen diskriminiere das Mädchen auf unzulässige Weise.

Anatomische Unterschiede zwischen Mädchen- und Jungenstimmen?

Die UdK argumentiert laut Pressemitteilung des Gerichts dagegen, dass die Nichtaufnahme des Mädchen nicht vor allem auf ihr Geschlecht zurückzuführen sei. Vielmehr wäre sie aufgenommen worden, wenn sich die Auswahlkommission von einer außergewöhnlichen Begabung, hoher Leistungsmotivation und entsprechender Kooperationsbereitschaft der Erziehungsberechtigten hätte überzeugen können. Zudem hätte die Stimme dem angestrebten Klangbild eines Knabenchores entsprechen müssen. Das sei aber nicht der Fall gewesen.

Weiter hieß es von Seiten der beklagten UdK, zwischen Mädchen- und Jungenstimmen bestünden anatomische Unterschiede, was zu differenzierten Chorklangräumen führe. Die hierauf zurückzuführende häufigere Ablehnung von Mädchen sei durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt. Andere Musikwissenschaftler halten diese Argumentation für überholt. Bräcklein verweist etwa auf die Professorin für Posaune, Abbie Conant, von der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen (Baden-Württemberg), die Knabenchöre als Ergebnis einer „antiquierten religiösen Tradition“ bezeichnet, die Frauen dazu verpflichtete, in der Kirche zu schweigen.