Eingeübte Handgriffe in einer Werkstatt des BHZ: Deniz Kurt baut für Mercedes Achsmanschetten zusammen. Foto: Leif Piechowski

BHZ-Geschäftsführer findet das Vorankommen in der Qualität der Beschäftigung aber am wichtigsten.

Stuttgart - 1000 Achsmanschetten. 1000 Schellen. 1000 Handgriffe, die beides verbinden. Routiniert. Sicher. Sorgfältig. Acht Stunden am Tag. Diese Gummimanschetten, die Gelenke einer Antriebswelle abdecken, werden allerdings nicht im Mercedes-Werk Mettingen zusammenmontiert, sondern in Stuttgart-Fasanenhof im BHZ. Das Kürzel stand in den Gründerjahren für Behindertenzentrum Stuttgart. Inzwischen hält man dort den Begriff für diskriminierend und falsch. Daher soll die Erklärung des Kürzels BHZ unter den Tisch fallen. An der Sache ändert das freilich wenig. Es sind Menschen mit Behinderung, die im BHZ in einen Produktionsalltag eingebunden werden. Und hinter dieser Tatsache steht eine Erfolgsgeschichte. Wirtschaftlich und ideell.

Zuerst die Fakten: Dank der guten Konjunktur floriert das Geschäft. „Derzeit sind unsere Auftragsbücher voll“, sagt BHZ-Geschäftsführer Albert J. Ebinger, „wir sind an einer Kapazitätsgrenze.“ 300 Beschäftigte mit Behinderungen arbeiten in den Werkstätten des BHZ. Und diese 300 Männer und Frauen haben einen Rekordumsatz von 2,5 Millionen Euro erwirtschaftet. „Im Vergleich zum Vorjahr haben wir den Umsatz um zehn Prozent gesteigert“, sagt Ebinger, „wichtiger ist aber, dass wir in der Qualität der Beschäftigung vorangekommen sind.“

Ein Beschäftigter im BHZ verdient entsprechend seines jeweiligen Leistungsvermögens im Schnitt 150 Euro im Monat

Qualität ist das Zauberwort. Es geht um das Produkt und die Arbeit. Schließlich sind es zwölf Firmen – darunter Mercedes, Hansa oder Trumpf –, die Abnehmer der Werkstücke sind. 29 der 300 Mitarbeiter sind sogar direkt bei neun Firmen, in sogenannten betriebsintegrierten Arbeitsplätzen, beschäftigt. Selbstständig arbeitend, mit eigenem Werkausweis ausgestattet. Bezahlt werden sie nach dem BHZ-Entgeltsystem: Danach verdient ein Beschäftigter im BHZ entsprechend seines jeweiligen Leistungsvermögens im Schnitt 150 Euro im Monat. Ein betriebsintegrierter Beschäftigter bekommt am Monatsende rund 325 Euro. Sozialhilfe und einen Wohnheimplatz exklusive. Die jeweiligen Arbeitgeber zahlen wiederum an das BHZ für die Arbeitszeit oder die produzierten Stückzahlen. Im Beispiel der Achsmanschette honoriert Mercedes ebenfalls pro Stück. Über die Höhe des Stückpreises konnte das BHZ keine Auskunft geben.

Aber letztlich geht es weniger um den Lohn. Über allem steht die Lebensqualität. „Das knüpft an die Gründeridee des BHZ an“, sagt der Feuerbacher Pfarrer und BHZ-Vorstand Timmo Hertneck, „vor 40 Jahren ging es darum, dass die Stadtgesellschaft Menschen mit und ohne Behinderung eine Heimat bietet.“ Heute nennt man das Inklusion. Oder größtmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Und das erfüllende Arbeitsleben ist bei diesen Schlagwörtern ein ganz wichtiger Faktor. Arbeit gibt dem Tag eine Struktur, dem Menschen mehr Selbstwert und Selbstbewusstsein. „Unsere Beschäftigten macht es stolz, wenn sie wissen, dass sie etwas für Bosch oder Daimler fabrizieren“, sagt Albert J. Ebinger.

Trotz der vielversprechenden Ansätze sei es schwer, diese Modelle in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt zu etablieren, sagt der Vorstand

Ein anderes Beispiel ist Ismail Abdi. Er arbeitet seit Mai 2011 im Altenpflegezentrum Schönberg. Zuvor war er etwa zehn Jahre in der BHZ-Werkstatt tätig. Ismail Abdi ist es am Anfang schwergefallen, von der Werkstatt und der gewohnten Umgebung wegzugehen: „Ich habe meine Kollegen sehr vermisst und dachte, ich muss wieder aufhören. Doch dann habe ich es durchgezogen.“ Jetzt sei er „glücklich“ über seinen Hausmeisterhelferjob und kann sich nicht mehr vorstellen, noch einmal in der Werkstatt zu arbeiten: „Es gibt immer etwas zu tun – dadurch geht die Zeit richtig schnell rum, und mir wird nie langweilig. Außerdem habe ich hier keinen Gruppenleiter, der mich ständig kontrolliert.“

Ismail Abdi ist damit ein Beispiel gelungener Inklusion. Doch trotz der vielversprechenden Ansätze sei es schwer, diese Modelle in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt zu etablieren, sagt Vorstand Timmo Hertneck. Doch ihn und BHZ-Geschäftsführer Ebinger spornt diese Herausforderung eher an. Beide haben ehrgeizige Ziele. Innerhalb von zehn Jahren soll der Anteil der betriebsintegrierten Arbeitsplätze im BHZ auf 20 bis 25 Prozent anwachsen. Bisher sind es ungefähr zehn Prozent. Damit wären die Stichworte Inklusion und Teilhabe mit Leben erfüllt. Für Pfarrer Hertneck ist das eine Daueraufgabe des BHZ: „Wir dürfen nicht nur von Inklusion sprechen, es ist sozusagen die Überschrift über unserem Handeln.“