Kirill Petrenko. Foto: dpa

Neue Töne in der Bayerischen Staatsoper München: Dirigent Kirill Petrenko am Pult macht es möglich.

Neue Töne in der Bayerischen Staatsoper München: Dirigent Kirill Petrenko am Pult macht es möglich.

München - Jubel, immer wieder Jubel: vor dem ersten, dem zweiten und dem dritten Akt. Die Begeisterung im Saal hatte etwas Demonstratives. Womöglich hätte der kleine, hoch energetische neue Mann am Pult des Bayerischen Staatsorchesters auch viel schlechter dirigieren können, als er es bei der Premiere von Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ am Donnerstagabend tat – und wäre dennoch vom Publikum auf Händen getragen worden. Kirill Petrenko ist sichtlich gerührt von der Vehemenz der Bestätigung. Ja, man will ihn haben in München, den 41-jährigen Russen mit dem Charakterkopf: gestutzte Locken und Ohren, die leicht abstehen, als wollten sie den akustischen Weitblick ihres Besitzers körperlich ins Bild und ins Recht setzen.

Tatsächlich ist das, was das Orchester an diesem Abend leistet, eine Sensation. Nicht nur, weil enorm viel Präzision im Spiel ist, der viel konzentrierte Arbeit vorangegangen sein muss. Und auch nicht nur, weil Petrenko (als musikalischer Chef der Komischen Oper Berlin von 2002 bis 2007 und zuletzt in diesem Jahr als Dirigent von Wagners „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth) ein feines Gespür für die dynamische und klangfarbliche Begleitung von Operngesang entwickelt hat. Sondern vor allem, weil sich der Dirigent auch hier wieder ein Stück mit einer Akribie angeeignet hat, die es ihm möglich macht, in großen Zusammenhängen zu denken.

Petrenko dirigiert intelligent, mit vorauseilendem Wissen, und das tut gerade dem von Strauss zuweilen reichlich dekorativ (und manchmal auch ein wenig überpathetisch) gehaltenen musikalischen Fluss ausgesprochen gut. So können aus leisen kammermusikalischen Gesten große, laute Gefühlsausbrüche werden. Petrenko zeichnet präzise das harmonisch Gegenläufige rund um die Figur der Kaiserin nach, das der Komponist selbst als „subtilen Nervencontrapunkt“ bezeichnete, und die unterschiedlichen Tonfälle der Musik fügen sich bei ihm zu einem schlüssigen erzählerischen Bogen, aus dem nicht einmal problematische Einzelszenen wie die großen Chor-Tableaus oder das Melodram der Färberin herausfallen. Dass Letzteres hier in voller Länge zu erleben ist, hätte allerdings nicht unbedingt sein müssen.

Etwas mehr weiche Farbfülle in der Höhe fehlt für eine sehr gute Kaiserin

Auch etliche Sänger erhöhen den musikalischen Genussfaktor des Abends. Elena Pankratova zum Beispiel, die der Färberin vor allem im zweiten Akt blühendes, glühendes Leben einhaucht. Oder Wolfgang Koch, der mit seiner intensiven Darstellung (und mit den vielleicht klügsten, feinsten musikalischen Phrasierungen des Abends) die Tatsache rechtfertigt, dass sein Barak als einzige Figur im Stück einen Namen, also eine klare Identität und Boden unter den Füßen hat.

Adrianne Pieczonka fehlt für eine sehr gute Kaiserin nur ein wenig mehr weiche Farbfülle in der Höhe, und Johan Botha hat zwar den hohen, dramatischen Tenor, den ein Darsteller des Kaisers haben muss, wirkt darstellerisch aber so, als sei er bereits am Anfang der Oper so versteinert, wie er an deren Ende sein muss. Insgesamt enttäuschend ist nur Deborah Polaski: Hölzern in der Darstellung, wenig prägnant in der Tonformung, trägt sie Schuld daran, wenn ausgerechnet die Amme, also der szenische Schaltraum des Stücks, unterbelichtet bleibt.

Dass die Freude an diesem Einstandsabend nicht ungetrübt sein würde, hatte schon vorausgeahnt, wer die Oper ein wenig kennt. Hugo von Hofmannsthals Libretto hält sich irgendwo zwischen den Prüfungen von Mozarts „Zauberflöte“ und dem Erlösungspathos von Goethes „Faust“ (II) auf, verbindet eine verworrene Märchenhandlung voller Spiegelungen und Zeitbezüge mit psychoanalytischen Bezügen und huldigt nicht nur der Institution Ehe, sondern vor allem dem Glück der Reproduktion. Das Stück steckt pickepackevoll mit (oft verdeckten oder verkleideten) Bildern über Gewalt und Neurosen von Zweierbeziehungen, und die Bilder von Frau und Mann sind oft nicht nur konservativ, sondern geradezu reaktionär.

Märchen- und Traumlogik ersetzen schon bei Hofmannsthal stringentes (Nach-)Erzählen. Weil sich in München aber auch der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski frei am Stück entlang assoziiert, wird der visuelle Aspekt des Stücks zu einem Setzkasten mit lauter buntem Nippes. Das erste Figürchen setzen schon vor dem ersten Ton des Orchesters Ausschnitte aus Alain Resnais’ und Alain Robbe-Grillets surrealistischem Filmklassiker „Letztes Jahr in Marienbad“ ein (eine Frau, ein Mann, man kennt sich vielleicht, aber woher bloß?); Denis Guéguin führt mit seinen Videosequenzen die Bildmotive fort und sorgt mit hübschen Schattenspielen im zweiten Akt für eine ungemein eindrucksvolle Flut.

Die Bühne (Malgorzata Szczesniak) zeigt ein Sanatorium mit zugehöriger Wäscherei (für das Färberpaar), eine Schule, am Ende einen Operationssaal. Und der Regisseur selbst schickt allerlei rätselhaftes Personal über die Bühne: Kinder, Greise (in der Tempelszene des dritten Akts), Falken, Krankenschwestern. Das kleine rothaarige Mädchen dürfte das kindliche Spiegelbild der Kaiserin sein, aber ob der gebeugte Alte im dritten Akt den Geisterfürsten Keikobad darstellt oder womöglich doch den von allzu viel Arbeit zu Boden gedrückten Färber Barak, lässt sich nicht eindeutig sagen.

Die Hauptpersonen hingegen stehen oder sitzen mit Vorliebe starr und mit Blick zum Publikum: als Unerlöste einer Inszenierung, deren Schöpfer womöglich viel im Kopf hat, sich aber klaren Deutungen verweigert und das Stück so im Diffus-Ungefähren, oft auch schlicht Unverständlichen belässt. Man muss auch als Regisseur Strauss’ Oper nicht lieben, aber eine Meinung und eine Idee zu ihr sollte man schon haben.

Die Opernvorstellung am 1. 12. kann man auf der Internetseite der Bayerischen Staatsoper live in HD-Qualität miterleben.