So erkennt man Yakuza-Gangster: abgehacktes Fingerglied, Baden-Tattoos. Foto: AFP

Seit der Aufspaltung eines Yakuza-Clans gärt es in Japans Unterwelt. Experten befürchten, dass ein blutiger Bandenkrieg unmittelbar bevorsteht.

Okinawa - Als vor einigen Monaten ein Privatjet auf dem Inselparadies Okinawa im Süden Japans landete, transportierte er eine gleichermaßen schwere wie heiße Fracht: 110 Kilogramm Gold im Wert von umgerechnet vier Millionen Euro. Die Polizei ist sich sicher, dass keiner der Beteiligten die Absicht hatte, das wertvolle Metall zu verzollen. Stattdessen sollen sie versucht haben, es steuerfrei zum Verkauf ins Land zu schmuggeln. Vor wenigen Tagen nahm die Polizei deshalb sechs Männer fest. Einer von ihnen, der 44-jährige Toshiyuki Matsuda, gehört einer Untergruppe der Inagawa-kai an, einer der mächtigsten Mafiaorganisationen in Japan.

53 000 Mafia-Mitglieder in Japan

Schmuggel ist eines der Kerngeschäfte der Yakuza, wie die Mafia in Japan auch genannt wird. Die Gangster selbst nennen sich jedoch lieber Gokudo („extremer Weg“) oder Ninkyodantai („humanitäre Gruppe“). Die Polizei spricht schlicht von Boryokudan („gewalttätige Gruppen“). Rund 53 000 Menschen in Japan sind nach Schätzung der Behörden Mitglieder von Mafia-Clans oder stehen mit ihnen in enger Verbindung.

Seit Herbst häufen sich Nachrichten über Brandsätze oder Autos, die bewusst rückwärts in eine geschlossene Garage gesteuert werden. Betroffen war jeweils das Eigentum von Mitgliedern der Yakuza. Als Auslöser gilt, dass sich die Yamaguchi-gumi, der mit 23 000 Mitgliedern größte Clan, damals nach internen Querelen aufgespalten haben soll. Beobachter der Szene befürchten nun, dass Japan kurz vor einem Bandenkrieg stehen könnte, bei dem nicht wie bisher vor allem die Verbrecher selbst, sondern auch Unbeteiligte zu Schaden kommen könnten.

Die meisten Japaner kommen nie mit Yakuza in Berührung, „außer, wer abends arbeitet“, sagt Sho Nagai, ein Friseur. Mit „abends“ umschreibt er elegant einen Job im Rotlichtmilieu. Auch wer eine Gaststätte in einschlägigen Vierteln besitzt, braucht nicht lange auf den Besuch von Schutzgelderpressern warten.

In der Tradition der Samurai

Dabei kennt die Polizei die Bandenmitglieder recht genau – die Nachbarn ebenfalls. Denn sich zu den Yakuza zu zählen, ist nicht verboten. Erst wenn diese ein Verbrechen begehen, kann die Polizei eingreifen. Zwar stehen die Yakuza außerhalb der Gesellschaft und werden gefürchtet. Andererseits gibt es viele faszinierte Bewunderer, wie Fanmagazine und Filme belegen.

Ursprünglich sollen sie sich aus fahrenden Händlern und Glücksspielern in der Edo-Zeit (1603–1868) entwickelt haben. Ein Großteil der Mitglieder soll sich heute aus Gruppen rekrutieren, die traditionell diskriminiert werden, zum Beispiel, weil sie mit Blut und Tod assoziierte Berufe ausüben.

Sich selbst sehen die Yakuza in der Tradition der Samurai, als Bewahrer japanischer Tradition. Sie sind stolz auf ihren strikten Ehrenkodex und zeigen sich gerne als Wohltäter, etwa durch Hilfsaktionen für Opfer von Erdbeben. Ihre Hilfe ist nicht uneigennützig. Sie hoffen auf lukrative Bauaufträge. Denn viele Yakuza führen Scheinfirmen, oft in der Bau-, Immobilien- und der Entsorgungsbranche. Auch in der Unterhaltungsbranche und im Sport sollen sie mitmischen. Parallel gehen sie ihren kriminellen Kerngeschäften nach: Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Prostitution, und eben Schmuggel. Zuletzt erweiterten sie ihr Geschäft auf Finanzbetrügereien wie Insider-Handel an der Börse. Oder sie bringen am Telefon vertrauensselige ältere Leute dazu, hohe Summen zu überweisen, angeblich für Angehörige in Not.

Eingeschworene Männerbünde

Die eingeschworenen Männerbünde – Frauen spielen meist nur als Gattin, Tochter oder Geliebte eine Rolle – sind geprägt von strikten Regeln und Hierarchien, von Respekt und Gehorsam. Die Jüngeren müssen die Älteren bedienen und bedingungslos loyal sein. Begeht ein Yakuza einen schweren Fehler, erwartet sein Boss zur Buße das Abtrennen eines Fingergliedes, angefangen beim kleinen Finger. Als Zeichen ihrer Hingabe zu ihrer Yakuza-„Familie“, aber auch als Symbol ihrer Stärke und Manneskraft, lassen viele ihre Körper mit kunstvollen Irezumi-Tätowierungen schmücken. Freigelassen werden nur Körperpartien, die aus dem Anzug herausschauen.

Beide Rituale verlieren aber an Bedeutung. Sie machen die Yakuza zu leicht identifizierbar und schaden dem Geschäft. Von auffälligen Anzügen, protzigem Schmuck und extravaganten Schals sind daher nun viele Gangster auf dunkle Maßanzüge umgestiegen. Das macht es ihnen leichter, sich neue Nischen entlang ihrer Kernkompetenzen – Gewalt und Betrug – zu erschließen.

Trotz der Wandlungsfähigkeit der Chamäleons unter den Gangstern scheinen ihre goldenen Tage gezählt. 2009 waren es nach Polizeiangaben noch rund 81 000 organisierte Verbrecher, jetzt fast 30 000 weniger. Teils dürfte dies der Erfolg strengerer Gesetze und eines schärferen Vorgehens der Polizei sein. Als weiterer Grund wird gesehen, dass es nun mehr Anwälte gibt: Wer früher zu seinem örtlichen Gangster ging, um Schulden einzutreiben, beauftragt heute einen Anwalt. Sah die Gesellschaft früher über Verbindungen in die Unterwelt hinweg, bedeuten diese heute für die betreffenden Sportler, Künstler und Politiker einen scharfen Karriereknick.

Neustart für Aussteiger

Ausstiegswilligen Yakuza versucht die Polizei, für den Neustart eine Anstellung zu vermitteln. Hilfe bei fehlenden Fingergliedern leisten versierte Prothesen-Techniker. Shintaro Hayashi vom Hersteller Aiwa Gishi Seisakusho in Tokio sagte einer Zeitung, er habe bereits für über 300 ehemalige Yakuza Fingerprothesen angefertigt. Pro Stück werden umgerechnet 2 300 Euro fällig. Die Anfertigung dauert eine Woche – der Wiedereinstieg in die Gesellschaft wohl deutlich länger.