Sie geben alles für den Tanz und für den guten Zweck: Adhonay Soares da Silva und Mackenzie Brown verbiegen sich in Roman Novitzkys Ballett „A Dialog“. Foto: /Roman Novitzky

Die John-Cranko-Schule und das Stuttgarter Ballett tanzen im Opernhaus für die Aktion Weihnachten. Die Benefizgala zeigt Klassiker und ganz neue Choreografien.

Während der zweite Advent draußen viel Wind und Wolken auffährt, lässt er drinnen im Opernhaus die Sonne aufgehen. Von leuchtendem Gelb sind die Kleider, mit denen sechs Tänzerinnen der John-Cranko-Schule die Ballettgala für die Aktion Weihnachten unserer Zeitung eröffnen. Mal quirlig wie Zitronenfalter, mal elegant wie Seerosen auf dem Wasser, verzaubern diese Nymphen auf den ersten Blick.

Verstärkt von Fischern und anderen Figuren aus dem Ballett „Undine“ scheinen sie auch die Leichtigkeit zu verkörpern, die Jan Sellner in seiner Begrüßung ansprach. In einer Zeit, die allen viel Schweres zumute, gehe es an diesem Vormittag auch um das, betonte der Vorsitzender der Aktion Weihnachten im ausverkauften Opernhaus, „was im besten Sinne möglich ist, wenn Menschen zusammenkommen und -wirken“. Weil alle auf und hinter der Bühne für den guten Zweck agieren, kann die Benefizgala mit maximalem Effekt soziale Projekte unterstützen wie die Samstagsschule der Kinderstiftung für Geflüchtete aus der Ukraine.

Bosl-Preis fördert einen geflüchteten Tanzschüler

Ob sie auch Serhii Zharikov besucht hat? Der junge Tänzer aus der Ukraine, eben mit einem Preis der Bosl-Stiftung gefördert, setzt seine Ausbildung an der Cranko-Schule fort. In Uwe Scholz’ neoklassischem Duett „Sonate“ trotzt er an der Seite von Kaela Tapper mit beeindruckender Reife der Melancholie in der Musik Rachmaninows und lässt im Tanz Hoffnung und die Leichtigkeit des Moments durchscheinen.

Allein im Dschungel des Lebens

Allein muss sich dagegen Alexei Orohovsky im Dschungel des Lebens behaupten; Perkussionsschläge pushen ihn in Brian Stevens „The Shadow“ in wilde Sprünge, bis er am Boden endet. Wie Zusammenhalt stark macht, bebildert dann die zweite Runde aus John Crankos „Jeu de cartes“. Ein Blatt aus starken Herz-Jungs pfeift in diesem Tanz-Poker auf den Joker, der sich immer wieder frech ins Spiel bringt. Und auch der „Vivaldi-Suite“, mit der 24 Kinder aus den ersten Klassen dem Auftritt der Cranko-Schule einen krönenden Abschluss schenkten, gelingen sommerlich flirrende Bilder von schöner Gemeinschaft. Bewegungen nehmen sich Zeit zum Entfalten und lassen sich vom treibenden barocken Beat nicht hetzen. So viel Besonnenheit im täglichen Getriebensein würde allen guttun.

Das Solo des Cranko-Schülers Justin Padilla, choreografiert von Nicola Marino, hätte man zu gern im zweiten, vom Stuttgarter Ballett bespielten Gala-Akt gesehen. „Der Schwan“ heißt es, und Padilla stürzt sich mit geschmeidiger, aber immer wieder auch nervös zuckender Energie in diese Analyse moderner Verlorenheit. Eine Vorahnung der Grauen, die den Menschen im vergangenen Jahrhundert erst noch bevorstanden, schwingt bereits in Fokines 1905 entstandenem Solo „Der sterbende Schwan“ mit, das Anna Osadcenko mit federleichten Armschlägen und der richtigen Dosis Ballerinen-Pathos interpretierte.

Zwei Kammertänzer machen Schweres leicht

Wie man gemeinsam das Schwere ganz leicht aussehen lassen kann, demonstrierten die beiden Kammertänzer Elisa Badenes und Jason Reilly gleich nach der Pause. John Cranko spickte seinen Pas de deux „Hommage à Bolschoi“ mit Kraftakten wie Ein-Hand-Popo-Lifts, doch die Stuttgarter Starsolisten, beide aktuell von Fachblättern zu Tänzern des Jahres gekürt, wischen mit einem Lächeln alle Zumutungen hinweg. Viel zu tun gibt auch Hans van Manen seinem Trio in „Solo“. Henrik Erikson, Alessandro Giaquinto und Matteo Miccini machen den Staffellauf zum Hingucker, weil hier mit jeder flinken Pirouette einer immer auch für die anderen tanzt.

Dank expressiver, dabei enorm präziser Bewegungen machten Rocio Aleman und Fabio Adorisio mit einem Auszug aus Samantha Lynchs neuem Ballett „Where Does the Time Go?“ Lust auf das ganze Stück. Wie ein Paar unter großer Lampe Bilanz zieht, wie er sich resignierend klein macht und sie energisch Stühle rückt, ist so sprechend beobachtet wie zu einem Song von Nina Simone getanzt. Deren Stimme treibt auch in Roman Novitzkys neuem Ballett „A Dialog“ ein Paar an: Während Mackenzie Brown wie ein Rennpferd mit den Hufen scharrt und verführerisch hüpft, steht Adhonay Soares da Silva in sich versunken. Jazzige Tempiwechsel und scharf gezeichnete Gesten fordern die Tänzer heraus in dieser Studie, die zeigt, wie aus zwei Monologen ein Dialog wird.

Packende Virtuosität schlägt Funken

Das Publikum lässt sich nicht nur von dieser besonderen, mit dem Erik-Bruhn-Preis gekrönten Tanzbegegnung das Herz erwärmen und verabschiedet das junge Paar mit lautem Jubel. Auch die Funken, die Daiana Ruiz und Ciro Ernesto Mansilla mit packender Virtuosität zum Abschluss aus Petipas „Don Quijote“-Auszug schlagen, lassen am Ende der vorweihnachtlichen Gala Feuer lodern, die Licht in finstere Zeiten tragen.