Kendrick Lamar hat für den Auftakt seiner Deutschlandtournee Stuttgart gewählt Foto: Promo

Der hochsensible Hip-Hop-Überflieger Kendrick Lamar hat am Dienstag in Stuttgart seine Deutschlandtournee begonnen.

Stuttgart - „Leute, ich bin zum ersten Mal hier“, warnt Kendrick Lamar früh am Abend, „wie ihr euch heute aufführt, wird einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Gebt euch also bitte Mühe.“ Doch kein Grund zur Sorge. Der Empfang, der Lamar am Dienstagabend im ausverkauften LKA bereitet wird, könnte kaum freundlicher sein. Besonders vorne rechts an der Bühne tut sich eine Gruppe Fans mit größtmöglichem Enthusiasmus hervor, skandiert alle Verse lautstark mit – auch jene, die nicht vom Erfolgsalbum „Good Kid, M.A.A.D. City“ stammen, das 2012 Kendrick Lamar zu jedermanns Lieblingsrapper gemacht hat.

Eine Stunde dauert der Auftritt in Stuttgart, der den Auftakt zu Lamars erster Deutschlandtour bildet. Der 25-Jährige inszeniert sich als Old-School-Rapper, der nur einen Plattenspieler und ein Mikrofon braucht, um seine Geschichten von der verrückten Stadt und dem guten Jungen zu erzählen, der ausbrechen will aus der Spirale der Gewalt, in die man so leicht gerät in Compton, Kalifornien. Im Eiltempo rappt er sich mit textsicherer Unterstützung des Publikums durch die Hits seines aktuellen Albums, das von einem Tag im Leben Lamars und von einer Läuterung erzählt – von „Backstreet Freestyle“ über „Bitch, Don’t Kill My Vibe“ bis „Swimming Pools“. In den robusten Umsetzung seines Repertoires macht Lamar zwar deutlich, dass er die Ich-Besessenheit des Hip-Hop keineswegs abgelegt hat. Doch das Ich, das er in seinen Songs berichten lässt, bliebt auch live hochsensibel und zögerlich-nachdenklich und verfällt nie der Selbstgefälligkeit, die man sonst fast immer von den Protagonisten des US-Westcoast-Rap vorgesetzt bekommt.

Ohne Machoposen und Gewaltfantasien

Immer wieder blendet der DJ die Beats aus, überlässt dem Rhythmus von Lamars virtuos gestalteten Sprachfluss die Show. Es gibt Freestyle-Einlagen, schon früh am Abend bei „A.D.H.D.“ furiose Reimwechselspiele mit dem Publikum, und das Stück „I Am“ trägt Lamar gegen Ende des Konzerts ohne Begleitung vor. Ein Song, bei dem er sich auch mal dreist mit Martin Luther King und Malcolm X vergleicht, sich sehr amerikanisch auf die Familie, auf Gott und die Ehre beruft und verrät: „See y’all don’t understand me / My plan be is to win y’all hearts before I win a Grammy“: Damit ihr mich alle nicht falsch versteht: Ich habe vor, erst eure Herzen und dann einen Grammy zu gewinnen.

Beides dürfte ihm sicher sein. Schließlich steht Lamar wie Frank Ocean für einen neuen schlauen Ton im US-amerikanischen Rap, der nicht nur bei den Fans, sondern auch bei Musikkritikern für Begeisterung sorgt. Die soulig-anspruchsvolle Platte „Channel Orange“ von Frank Ocean, der sich als schwul geoutet hat, und Lamars Konzeptalbum „Good Kid, M.A.A.D. City“ landeten jedenfalls nicht nur in den Jahrescharts von Hip-Hop-Magazinen, sondern auch beim „Rolling Stone“, bei „Spin“ oder dem britischen Radiosender BBC auf Spitzenplätzen.

Ebenso kommt ja auch der zweite Frühling, den der Deutschrap derzeit erlebt, weitgehend ohne die genretypischen Machoposen und Gewaltfantasien aus. Zu verdanken ist das Stuttgarter Acts wie den Orsons oder Cro und Ex-Stuttgartern wie Max Herre. Und auch für Kendrick Lamar ist Stuttgart seit Dienstag etwas Besonders. Am Ende des Konzerts, als dumpfe Bässe durch die Halle dröhnen, einem tief in den Magen drängen, kündigt er noch an, bevor er endgültig von der Bühne verschwindet: „Egal, was in den nächsten Jahren noch für verrückte Dinge passieren werden: Ich verspreche euch, ich werde immer wieder zu euch zurückkommen.“