Die rund 2300 Apotheken in Baden-Württemberg wollen den Druck auf den Bund erhöhen. Foto: dpa/Jan Woitas

Der Chef der Südwest-AOK, Johannes Bauernfeind, hat wenig Verständnis für die Klagen der Apotheken. Und er kritisiert die Strategie Karl Lauterbachs zur Bekämpfung der Lieferengpässe bei Medikamenten.

Für diesen Mittwoch haben die Apotheker zu einem bundesweiten Protesttag aufgerufen. Sie verlangen unter anderem eine Anhebung der Honorare für verschreibungspflichtige Arzneimittel von 8,35 Euro auf 12 Euro pro Packung. Ein Gespräch mit Johannes Bauernfeind, Chef der AOK in Baden-Württemberg, über die Lage der Apotheken und Medikamentenengpässe.

Herr Bauernfeind, halten Sie die Forderungen der Apotheker vor allem nach Verbesserung der finanziellen Lage für angemessen?

Die Umsätze in den Apotheken sind in den vergangenen zwei Jahren um 13 Prozent gestiegen. Das spricht wirklich nicht für eine viel zu schlechte Vergütung. Es stimmt, dass die Pauschale für die Apotheker viele Jahre lang nicht erhöht wurde. Gleichwohl gab es an anderer Stelle auch Anpassungen. Insofern müssen die Forderungen der Apotheker auch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Erst recht mit Blick auf die angespannte Situation der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die das erste Quartal 2023 voraussichtlich mit einem knappen Minus abgeschlossen hat.

Und wie beurteilen Sie die Form des Protests – die Apotheken bleiben geschlossen.

Die Form des Protests finde ich extrem unangemessen. Das geht auf Kosten jener Patienten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Die haben weitere Wege zu den Notdiensten.

Der Verband beklagt, dass sich besonders im ländlichen Raum die Apotheken-Landschaft ausdünnt. Macht Ihnen das auch Sorge?

Ja, auf dem Land werden die Wege für Patienten weiter. Das gilt auch für die Arztpraxen. Dagegen gibt es auch in kleineren Städten eine hohe Apothekendichte. Diese ungleiche Verteilung macht mir in der Tat Sorge. Apotheker sind eingetragene Kaufleute und gehen dorthin, wo der Umsatz stimmt. Aber diese Situation wird nicht durch pauschale Einnahmeverbesserungen verändert, die dann auch für Apotheken in den großen Zentren gelten.

Johannes Bauernfeind, AOK

Kassen wie Apotheken beschäftigt das Problem der Lieferengpässe. Offenbar ist Bundesgesundheitsminister Lauterbach der Meinung, dass die exklusiven Rabattverträge – ein Markenzeichen der AOK – zu den Engpässen beitragen.

Die Rabattverträge sind gewiss nicht der Grund für Lieferengpässe. Erstens hat die Abwanderung von Produktion bei den Arzneimitteln ohne Patentschutz nach Asien schon weit vor den Rabattverträgen begonnen. Die Unternehmen nutzten schon seit den 1980-er Jahren günstigere patentrechtliche Bedingungen. Das war durchaus zum Nutzen der GKV. Damit standen schneller billigere Medikamente zur Verfügung. Und zweitens haben die Rabattverträge dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Hersteller, die am Markt generische Arzneimittel anbieten konnten, deutlich erhöht hat. Kleine und mittelständische Unternehmer, die nicht über große Marketing-Abteilungen verfügten, erhalten einen effektiven Zugang zum Markt. Das sorgte für mehr Angebotsvielfalt.

So sieht die heutige Realität aber nicht mehr aus. Es gibt immer weniger Generika-Hersteller.

Es ist richtig, dass im Laufe der Zeit die Gewinn-Margen deutlich abgenommen haben. Die kostengünstigen asiatischen Produktionsstätten haben dadurch eine Magnet-Wirkung entfaltet. Vor allem die Wirkstoffproduktion findet heute dort statt. Auch für deutsche Unternehmen ist das eine Möglichkeit, ihre Margen zu vergrößern. In der Pandemie haben wir aber gesehen, dass dieser Prozess kritische Grenzen erreicht. Lockdowns haben in China zu Stilllegungen von Produktionsstätten geführt, mit Auswirkungen auf die globale Verfügbarkeit von Arzneimitteln. Mit dem Thema Rabattverträge hat das alles nichts zu tun.

Doch. Für Hersteller, die nicht den Zuschlag bekommen, lohnt sich die Produktion nicht mehr. Wenn dann der Vertragspartner nicht mehr liefern kann, gibt es keine Alternative mehr.

Etwa bei den kritischen Antibiotika-Medikamente setzen wir nicht auf Exklusiv-Verträge, sondern auf Mehrpartnermodelle. Die sind aber auch kein Allheilmittel. Wenn wir mehrere Vertragspartner haben, die aber bei derselben chinesischen Produktionsstätte einkaufen, kann es noch immer zu Engpässen kommen. Wir haben deswegen bei Antibiotika versucht, in den Verträgen eine geschlossene Lieferkette aus dem europäischen Wirtschaftsraum vorzuschreiben. Leider hat das OLG Düsseldorf da einen Verstoß gegen das europäische Vergaberecht festgestellt und uns dieses Vorgehen untersagt.

Sind also die Pläne des Ministeriums in Hinblick auf Rabattverträge überflüssig?

Eine Verpflichtung zur Bevorratung von drei Monaten ist sinnvoll. Diese Vorgabe ist bereits Bestandteil der AOK-Verträge. Dass es Vorgaben für die Produktion der Wirkstoffe in Europa geben soll, halte ich auch für gut. Aber ob Lauterbachs Pläne europarechtlich bestehen, bleibt abzuwarten. Was man wissen muss: Bei 1,2 Prozent der rabattierten Medikamenten gab es 2021 Lieferengpässe. Bei dem davon nicht betroffenen Markt liegt die Quote bei rund vier Prozent. Daher sollten Lauterbachs Vorgaben in erster Linie auch im nicht-rabattierten Markt dringend umgesetzt werden.

Der Gesetzgeber will auch die Festpreise für Arzneimittel erhöhen, damit die Hersteller mehr verdienen und am Markt bleiben. Hilft das gegen Lieferengpässe?

Nein, es ist nicht die deutsche Preissituation, die zu den Lieferengpässen führt. Wegen einer Erhöhung der Festpreise wird kein global agierender Unternehmer seine Produktion nach Europa verlagern. Das ist ein weltweites Problem. In der Schweiz gibt es zwei- bis dreimal so hohe Preise, aber die Lieferengpässe sind dort gravierender als in Deutschland.

Das heißt, die Versicherten müssen sehr langfristig mit Lieferengpässen leben…

Zur Beruhigung: Rund 96 Prozent der Arzneimittel sind uneingeschränkt verfügbar. Bei den unter Rabattverträge fallenden Medikamenten noch mehr. Und aus einem Lieferengpass entsteht ja auch nicht automatisch ein Versorgungsengpass. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es angesichts der weltweiten Lieferbeziehungen und zeitgleichen Krisen nicht. Aber wir haben keinen Versorgungsnotstand.

Herr Lauterbach kündigt an, dass der Beitragssatz für die Versicherten im kommenden Jahr voraussichtlich noch einmal „leicht steigen“ müsste.

Diese Aussage macht mich fassungslos. Es braucht dringend Reformvorschläge aus dem BMG zur nachhaltigen Stabilisierung der GKV. Herr Lauterbach ist scheinbar nicht gewillt, dieses Thema aktiv anzugehen. Es muss endlich Schluss damit sein, die Probleme weiter in die Zukunft zu verschieben und die Beitragszahlenden mit immer weiter steigenden Beiträgen zu belasten sowie den Handlungs- und Gestaltungsspielraum der Krankenkassen zu beschneiden. Eine einfache Lösung ist bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Würde der Bund endlich seiner Verantwortung gerecht und ausreichende Beiträge für Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld bezahlen, könnten die Beitragszahlenden um bis zu 0,6 Beitragssatzpunkte entlastet werden. Auch die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf den reduzierten Satz wäre eine einfache und effiziente Maßnahme. Nichts tun und die politischen Versäumnisse wieder auf dem Rücken der Beitragszahlenden auszutragen halte ich für unverantwortlich.