Agneta Eichenholz als Alcina (links), Diana Haller als Ruggiero Foto: Sigmund

1998 hatte Jossi Wielers und Sergio Morabitos Inszenierung von Händels Oper „Alcina“ Premiere in Stuttgart. Jetzt ist das Stück in neuer Besetzung wieder zu erleben.

Stuttgart - Dem Intendanten der Oper Stuttgart und seinem mitinszenierenden Chefdramaturgen mag es vorkommen, als sei die Zeit vergangen wie im Flug: Kaum hat man das Kind auf die Welt gebracht, ist es auch schon erwachsen geworden. Händels „Alcina“, die 1998 in Stuttgart Premiere feierte – damals mit Catherine Naglestad in der Titelpartie, außerdem mit Michael Ebbecke, Helene Schneiderman, Alice Coote und Claudia Mahnke – und die danach etliche Male wiederaufgenommen wurde, wirkt auf der Bühne tatsächlich alterslos. Die Zeit ist an diesem wundervoll vielschichtigen Vexierspiel von Wahrheit und Täuschung, Fantasie und Wirklichkeit spurlos vorübergegangen.

Vor dem dominierenden großen Bilderrahmen auf Anna Viebrocks Bühne, der immer wieder auch ein Spiegel ist, erleben jetzt allerdings viele Sänger erstmals in diesem Stück den Zauber der Liebe: Yuko Kakuta zum Beispiel, die als Morgana darstellerisch große Präsenz und im Laufe der Zeit auch sängerisch immer mehr Sicherheit selbst bei raschen Verzierungen gewinnt – ein gelungenes Debüt. Mit frappierender Geschmeidigkeit, Präzision und Empathie gibt auch der Tenor Sebastian Kohlhepp den Oronte, und bis zu ihrer letzten „Barbara!“-Arie fühlt und singt sich Josy Santos mit farbreicher, sehr gut kontrollierter Stimme und spürbarer Hingabe in die Partie des pubertär verwirrten Oberto hinein. Dass diese Mezzosopranistin – ebenso wie Stine Marie Fischer, die ein gutes, allerdings nicht immer koloratursicheres Rollendebüt als Bradamante gibt – Mitglied des Opernstudios Stuttgart ist, macht erneut deutlich, wie wichtig und wie gut besetzt diese Nahtstelle zwischen Sänger-Ausbildung und Profi-Theater ist. Das ist auch ein Verdienst von Stuttgarts sängerkundiger Operndirektorin Eva Kleinitz.

Wenn etwas an dieser „Alcina“ gealtert ist, dann ist es der Orchesterklang

Diana Haller hat den Ruggiero schon gesungen, und auch diese Partie hat die temperamentvolle Mezzosopranistin weiter reifen lassen: Fein tönt sie Farben und Stimmungen ab, formt sie Nuancen des Leisen, die man gerne auch öfter bei Agneta Eichenholz gehört hätte. Die Sopranistin, die für die erkrankte Ana Durlovski in der Titelpartie einsprang, singt sich allerdings mit ihrer strahlenden Stimme nach und nach in ihre Partie hinein und liefert in der Summe das packende Porträt einer Frau, deren Kraft am Verlust der Liebe zerbricht. Alcinas letzte Arie ist auch bei ihr eine ergreifende Charakterstudie.

Hier ist auch das Staatsorchester, das Christian Curnyn dirigiert, ganz auf der Höhe. Schon zuvor hat es über Ruggieros „Grüne Wiesen“-Arie pastellene Klangfarben ausgebreitet wie einen Gazevorhang – und so zumindest ein wenig den ersten Teil des Abends vergessen gemacht, der instrumental oft unkoordiniert wirkte und (zumal bei den Streichern) bei Einsätzen und schnellen Noten ziemlich unkonzentriert. Wenn überhaupt etwas an dieser „Alcina“ gealtert ist, dann ist es der immer wieder viel zu flächige Orchesterklang, die hybride Instrumentenmischung mit Laute und Cembalo, die viele Feinheiten im Dialog unterschlägt. Aber da die Oper Stuttgart ihre Arbeit an der Kunst als Work in Progress definiert, darf man hoffen, dass auch diesem Defizit spätestens zur Verrentung der dann gewiss immer noch szenisch packenden „Alcina“ aufgeholfen werden wird.

Nochmals am 9., 12., 23. und 29. Oktober