Im Mai gab es bei Daimler eine Durchsuchung. Seitdem gibt es keinen neuen Sachstand. Foto: 7aktuell.de/Simon Adomat

Die neuen Vorwürfe gegen den Konzern gründen lediglich auf einem Durchsuchungsbeschluss. Juristen erläutern, was es damit auf sich hat.

Stuttgart - Medienberichte werfen Daimler vor, schwerwiegender als bislang bekannt in die Affäre um manipulierte Abgaswerte verstrickt zu sein. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Gibt es bei der Frage, wie sehr Daimler in die Manipulation um Abgaswerte verstrickt ist, eine neue Beweislage?
Nein. Die Vorwürfe, dass Daimler von 2008 bis 2016 in Europa und den USA Fahrzeuge mit einem unzulässig hohen Schadstoffausstoß verkauft haben soll, beruhen auf einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart. „Ein Durchsuchungsbeschluss ist aber kein rechtskräftiges Urteil, sondern das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart“, erklärt der Stuttgarter Anwalt Jens-Hendrik Janzen von der Wirtschaftskanzlei Heuking unserer Zeitung. „Allein die Einsichtnahme eines Durchsuchungsbeschlusses ändert nicht den Sachstand.“
Wie läuft das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ab?
Wenn die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Anfangsverdacht auf einen Straftatbestand hat, leitet sie ein Ermittlungsverfahren ein. „Im Verlauf dieses Verfahrens gibt es drei Möglichkeiten“, erläutert Hanno Kiesel, ebenfalls von der Kanzlei Heuking. „Entweder die Staatsanwaltschaft stellt das Ermittlungsverfahren aus Mangel an Beweisen wieder ein, sie erhebt Anklage oder sie stellt fest, dass sie noch mehr Material braucht, um ihre Vorwürfe zu erhärten.“ In diesem Fall kann sie beim Amtsgericht eine Durchsuchung beantragen. „Der Durchsuchungsbeschluss folgt in weiten Teilen den Formulierungen der Staatsanwaltschaft“, sagt Kiesel. Statistisch gesehen geben die Gerichte dem Antrag auf Durchsuchung in der Mehrheit der Fälle statt, sagen die Experten.
Ist die Schuldfrage damit geklärt?
Ganz und gar nicht. „Ich warne vor Vorverurteilungen“, sagt Rechtsanwalt Kiesel. „In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein rechtskräftiges Urteil gesprochen wird.“ Auch sein Kollege Janzen stört sich daran, dass viele davon ausgehen, durch einen Durchsuchungsbeschluss sei die Schuldfrage geklärt. „Aus meiner Sicht sind die Reaktionen auf den Durchsuchungsbeschluss etwas voreilig“, sagt er. „Es wird jetzt so getan, als hätte Daimler das gleiche Problem wie Volkswagen, und bei dieser Behauptung wäre ich sehr vorsichtig.“
Ist Daimler also aus dem Schneider?
Sicherlich nicht. „Aber es ist einfach noch zu früh, sich über diese Frage ein Urteil zu erlauben“, sagt Kiesel.
Was genau wird Daimler vorgeworfen?
Laut dem Durchsuchungsbeschluss, über den zuerst die „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR berichtet haben, soll Daimler von 2008 bis 2016 in Europa und den USA Fahrzeuge mit einem unzulässig hohen Schadstoffausstoß verkauft haben. Zwei bestimmte Motorenklassen (OM 642 und OM 651) hätten eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten, mit der die Schadstoffreinigung nur auf dem Prüfstand ein- und auf der Straße weitgehend ausgeschaltet worden sein soll. Das Thema ist nicht neu. Daimler hat bislang stets betont, sich an geltendes Recht gehalten zu haben.

Der Streitpunkt ist – wie bei den anderen Herstellern – ein sogenanntes Thermofenster, das die Abgasnachbereitung in bestimmten Temperaturbereichen herunterregelt – um Bauteile im Motor zu schützen, wie die Hersteller argumentieren. Wie auch andere Hersteller hatte sich Daimler mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) darauf geeinigt, 247 000 Fahrzeuge „freiwillig“ zurückzurufen, um die Technik anzupassen. Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe kritisieren, dass die entsprechende EU-Verordnung zu weit ausgelegt werde. Daimler selbst kommentiert die Vorwürfe derzeit nicht.

Welche Modelle sind betroffen?
Der Motor OM 651 ist seit 2008 in nahezu allen Pkw-Modellen von Mercedes verbaut worden. Der OM 642 befindet sich in größeren Modellen von der C-Klasse aufwärts.