Fünf Tage lang ist Frankfurt die Welthauptstadt des Buches. Foto: dpa/Hannes P Albert

Man könnte meinen, in diesen Tagen gäbe es wichtigeres als eine Buchmesse. Das Gegenteil ist der Fall, kommentiert Stefan Kister.

Eigentlich ein Anlass zum Feiern, 75 Jahre Frankfurter Buchmesse. Aber dazu ist in diesen Tagen vermutlich niemand wirklich zumute. Die Welt ist aus den Fugen, und man muss weit zurückblicken, bis man vergleichbare Anhaltspunkte für dieses durch vielfältigen Gebrauch bereits etwas abgenutzte Shakespeare-Zitat findet. Wie weit, verdeutlichen die Worte des israelischen Präsidenten Izchak Herzog, seit dem Holocaust seien nicht mehr so viele Juden an einem Tag getötet worden wie bei den bestialischen Tötungsorgien der islamistischen Terrortrupps der Hamas.

Wenige Jahre nach Ende des Naziterrors wurden in Frankfurt, in dem Land, in dem zuvor Bücherverbrennungen ihren Schein auf die darauf folgenden Menschheitsverbrechen vorausgeworfen hatten, wieder Bücher gehandelt. Was mit rund 200 Verlagen in der Frankfurter Paulskirche begann, entwickelte sich über die Jahre zum weltweit wichtigsten Treffpunkt einer Branche, deren Ware ein unveräußerbares Humanitätsversprechen mit sich führt.

Kampf gegen Hass

Denn das ist die große Offerte der Bücher: dass sie unsere innersten Vorstellungen, Anschauungen und Erlebnisse prinzipiell teilbar und für alle verständlich machen. Jede Messe feiert außer ihren eigenen ökonomischen Interessen, dass die unüberschaubare Menge von Ansichten, Positionen und Perspektiven hier in einer grenzüberschreitenden Vielfalt zusammenfindet.

Man kann das für Sonntagsredengewäsch halten und einwenden, dass es in diesen Zeiten Wichtigeres zu tun gäbe, als über Bücher zu reden. Doch wie brisant die Fürsten der Finsternis dieser Welt selbst das Gut empfinden, um das es hier geht, können in Frankfurt russische, iranische Exilschriftsteller erzählen. Und niemand verkörpert eindrucksvoller den Kampf gegen Hass, Intoleranz und Fanatismus als der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie, der am Sonntag am symbolträchtigen Gründungsort der Buchmesse, in der Paulskirche, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennehmen wird.

Kunst der Unterscheidung

Seit der vom iranischen Mullah-Regime über ihn verhängten Fatwa verbringt er sein Leben im Gefühl permanenter Bedrohung. Wie sehr die Welt aus den Fugen geraten ist, lässt sich daran ermessen, dass jüdische Mitbürger auf Deutschlands Straßen neuerdings wieder Ähnliches empfinden. Als wäre es nicht schlimm genug, dass gerade Parteien triumphieren, die sich aussuchen können, welchen ihrer Ressentiments sie nun die Zügel schießen lassen, den antisemitischen oder den antiislamischen.

Wo Populisten die Empfindungsfähigkeit auf niederste Reflexe herabstimmen, setzt eine Literatur, die den Namen verdient, auf Nuancen, Differenzierungen. Vielleicht ist in diesen Tagen nichts wichtiger als besonnene Unterscheidungskunst. Sie könnte beispielsweise helfen, barbarische Pogrome von Freiheitskämpfen klar zu trennen.

Was wahre Fiktionen von falschen abhebt, ist das Prinzip der Gegenseitigkeit: Geht es in der Literatur um uns selbst, geht es immer auch um andere und umgekehrt. Auf was aber sollte man angesichts der schlimmen Gegenseitigkeit sich aufschaukelnder Gewaltexzesse hoffen als auf die humanisierende Kraft der Fähigkeit, im anderen sich selbst zu erkennen. Und so kann man sich natürlich fragen, ob es wirklich eine kluge Entscheidung der Messeleitung war, die Verleihung eines Preises für Literatur aus dem globalen Süden an die palästinensische Autorin Adania Shibli zu verschieben.

Nein, es gibt mit Blick auf die Weltlage bei dieser Jubiläumsmesse wenig zu feiern, aber umso mehr zu besprechen.