Unter den Toten waren viele Menschen ausländischer Herkunft und Asylsuchende. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Am 16. März 1994 sterben sieben Menschen bei einem Brandanschlag in der Stuttgarter Innenstadt. 30 Jahre später denken Retter und Ermittler an die Brandnacht zurück.

Ante und Ljuba Bešlić, Nebahat und Aynül Say, Zuzanna Marjanović, Athina und Kristina Stavroulaki – das sind die Namen der Menschen, die am 16. März 1994, bei einem Brandanschlag in der Stuttgarter Geißstraße ums Leben kamen. Sechs von ihnen verbrannten in den Flammen, eine Frau starb beim Sprung vom Dach. 16 weitere Personen wurden verletzt. Die daraufhin ins Leben gerufene Stiftung Geißstraße hat am Samstag an diesen schrecklichen Tag vor genau 30. Jahren erinnert. Bei der Gedenkfeier kamen auch die Retter und Ermittler von damals zu Wort.

So auch Michael Kühner, der zur Zeit des Brandanschlags die Mordkommission leitet. Gegen 3.30 Uhr bricht das Feuer in dieser Nacht aus, erinnert er sich. Ein Kellner eines benachbarten Lokals entdeckt die Flammen am Hauseingang. Schnell greifen sie auf weitere Teile des Gebäudes über. Das Haus in der Geißstraße 7 ist im Jahr 1994 genau 86 Jahre alt, besteht aus fünf Stockwerken. Im Erdgeschoss befindet sich eine Gaststätte, darüber liegen Wohnungen.

Undurchsichtige Wohnverhältnisse

Dort sind damals 27 Personen polizeilich gemeldet. Weil die Eigentümer jedoch exorbitant hohe Mieten verlangen, vermieten die Bewohnerinnen und Bewohner die Zimmer unter. Ermittler Michael Kühner erzählt von „überaus undurchsichtigen Wohnverhältnissen“, etwas mehr als 50 Personen hätten dort gewohnt. Die Rettung gestaltet sich in jener Nacht aber auch deshalb schwierig, weil Autos den Einsatzkräften den Weg versperren.

Frank Knödler (68), damals Leiter der Branddirektion Stuttgart

Frank Knödler war als Feuerwehrmann bei dem Brand dabei. Heute ist er Präsident des Landesfeuerwehrverbands. Foto: Lichtgut//Julian Rettig

Frank Knödler hat in der Brandnacht den Feuerwehreinsatz geleitet. Er spricht vom „folgenschwersten Brand seit dem Zweiten Weltkrieg“ und, „dass das Szenario nur ganz begreifen könne, wer dabei war.“ Als er über die Nacht spricht, merkt man ihm an, dass es ihn auch 30 Jahre später noch tief bewegt. Feuerwehrmann Knödler ist damals in der ersten halben Stunde nach Eingang des Notrufs am Brandort. Als er eintrifft, sind die Überlebenden gerettet, er ist an den anschließenden Löscharbeiten beteiligt. „Das Feuer hatte es sehr leicht. Teppichreste und Kartons im Hauseingang führten dazu, dass das Treppenhaus wie eine Fackel brannte – und fehlende Türen im Treppenhaus dazu, dass sich das Feuer in die Wohnungen fressen konnte“, erinnert er sich.

Knödler betont, welche Fortschritte es seither im Brandschutz gegeben habe. Die gesetzliche Rauchmelderpflicht etwa, sodass ein Feuer schneller bemerkt werde oder rauchdichte Türen im Treppenhaus. Sein heutiger Nachfolger Georg Belge fügt hinzu, dass im Anschluss auf die Brandnacht eine Einsatzkräfte-Nachsorge in Stuttgart eingerichtet wurde: „Die Retter sind mit prägenden Eindrücken, Gefühlen und Geräuschen zurückgekehrt, die auch erst mal nicht weg gingen.“ Schließlich sei der Einsatz erst dann beendet, wenn die Rettungskräfte wieder einsatzfähig sind.

Michael Kühner(76), damals Leiter der Mordkommission

Michael Kühner ermittelte zum Brand in der Geißstraße. Foto: Lichtgut//Julian Rettig

Als der damalige Mordkommissar Michael Kühner damals in der Geißstraße eintrifft, laufen die Rettungsmaßnahmen bereits. Er macht sich mit weiteren Beamten ein Bild von der Lage im Haus. „Auch wenn ich schon vieles gesehen hatte, war das wirklich brutal“, erzählt er. „Ich erinnere mich noch immer, wie wir die verkohlte Schwangere mit dem Baby in ihrem Bauch tot auffanden, neben ihr ihre kleine Tochter.“

Gegen sechs Uhr wird eine Sonderkommission eingerichtet, die rund um die Uhr an der Aufklärung des Brandes arbeitet. „Es war eine enorme psychische Belastungssituation. Auch weil in einer Zeit der Brandanschläge in Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda die Medien schnell Druck machten, herauszufinden, ob die Tat ebenfalls rassistische Motive hatte“, sagt er. Heute habe er die Tat verarbeitet, sagt der ehemalige Ermittler. „Wenn ich das nicht könnte, hätte ich früher oder später den Beruf oder das Aufgabengebiet wechseln müssen.“

Wilfried Klenk (65), ehemaliger Leiter des Rettungsdienstes Stuttgart

Wilfried Klenk leitete zum Zeitpunkt des Brandes den Rettungsdienst in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Rettungsdienstler Wilfried Klenk warnt bei der Gedenkfeier vor dem Abbau von Brandschutzmaßnahmen. Und appelliert, sich mit offenen Augen und Ohren in der Welt zu bewegen, „denn Brandstifter wird es immer geben, auch im geistigen Sinne“. Klenk betont, dass es Jahre gedauert habe, bis die psychosoziale Betreuung der betroffenen Einsatzkräfte thematisiert wurde.

Hat der Brandstifter rassistische Motive gehabt?

Zwei Jahre nach der Tat wird ein damals 25-Jähriger aus Esslingen verhaftet. Die Beamten schnappen den Mann, weil er auch dort mehrere Brände gelegt haben soll. Als er mit Beamten durch die Geißstraße läuft, gesteht er, auch dort Feuer gelegt zu haben. Anschließend zieht er das Gesagte wieder zurück. In einem Indizienprozess wird er zu 15 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Seit Oktober vergangenen Jahres ist er wieder frei.

Ob die Tat als rassistisch einzuordnen ist, da sind sich die Beteiligten bis heute uneinig. Für Dagmar Özuysal-Neu von Aufstehen gegen Rassismus stehe fest, dass der Täter aus rassistischen Motiven gehandelt habe. Die Initiative wünscht sich eine klare Benennung des Motivs Rassismus auf der Gedenktafel am Gebäude. Im März diesen Jahres wurde die Analyse von Anwalt Roland Kugler vorgelegte, der sich im Namen der Stiftung Geißstraße mit der Frage beschäftigt hat, ob Rassismus für die Tat eine Rolle gespielt habe. Kugler kommt darin zum Schluss, dass es kein rassistisches Motiv gibt. „Man kann nicht sagen, dass er kein Rassist war, aber es gibt auch keine konkreten Hinweise, dass die Tat auf rassistischen Motiven beruht“, sagte er damals unserer Zeitung. Es fehlten ein Bekenntnis und auch Kontakte zu rechtsextremistischen, rassistischen Organisationen könne man nicht finden. Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung stuft die Tat als nicht rassistisch ein.