Auf Torejagd: Belgiens Stürmer Lukaku trifft gegen Tunesien gleich doppelt. Foto: AP

Nach zwei Gruppenspieltagen kann man festhalten, dass sich die Qualität der Partien durchaus sehen lassen kann, auch wenn eine Umfrage unter 25 000 Sportfans zu einem anderen Ergebnis gelangt. Sind die zu verwöhnt?

Moskau -

Nun hat diese WM auch ihr erstes echtes Torspektakel erlebt, 5:2 besiegte Belgien die tapferen Tunesier, die mutig mitstürmten. „Wir haben uns heute aufs Angreifen konzentriert“, sagte Trainer Nabil Maaloul nach dem Abpfiff und viele Bundesligakollegen mögen nach diesem Satz gedacht haben: „Selbst schuld, so viel Naivität wird bestraft!“

Denn der Mut, Spiele gegen deutlich bessere Teams mit einem couragierten Angriffsfußball zu bestreiten, ist ausgestorben unter den Pragmatikern in den deutschen Clubs. Bei der WM ist das erfreulicherweise anders, nun haben alle Teams zwei Partien absolviert und es lässt sich festhalten: Verglichen mit anderen Weltmeisterschaften sind Niveau und Unterhaltungswert sehr ordentlich.

Marokko bestürmte in zwei Partien gegen Iran und Portugal das gegnerische Tor, tragischerweise haben sie keinen guten Stürmer, der die vielen Chancen verwerten kann. Die Peruaner starben nach insgesamt 180 furiosen Minuten Angriffsfußball gegen Dänemark und Frankreich in Schönheit, es gab Dramen in der Nachspielzeit und jede Menge Leidenschaft. Gleich am zweiten Turniertag gab es das hinreißende 3:3 zwischen Spanien und Portugal, das 3:0 der Kroaten über Argentinien war ebenfalls brillant, aber selbst in der Masse der Spiele erlebt die Welt einen Wettbewerb der Hingabe und der Leidenschaft. Das macht viele Partien hoch attraktiv.

Herz und Leidenschaft

Als Marco Reus am Samstagabend nach der Schlacht von Sotschi in der Pressekonferenz saß, sagte er einen kleinen Satz, der auf eine gute Beobachtungsgabe des Angreifers schließen lässt. „Bei dieser WM hat sich bisher einfach gezeigt, dass mit viel Herz und mit viel Leidenschaft viel zu holen ist.“ Da schwang eine gewisse Despektierlichkeit gegenüber einigen Spielern mit, deren Namen selbst Experten des internationalen Fußballs noch nie gehört haben und die schon bald wieder vergessen sein werden. Auf der anderen Seite drückt diese Erkenntnis aber den Respekt gegenüber einer Haltung aus, zu der Weltmeister sich noch mühsam zwingen muss: echte Hingabe an dieses Turnier.

Die große Mehrheit der Mannschaften agiert mit Demut, mit maximaler Einsatzbereitschaft, mit einer Attitüde der Wertschätzung für solch ein bedeutsames und auch seltenes Ereignis. Die trägen Uruguayer und die überforderten Saudis sind vielleicht Ausnahmen, aber selten gab es eine WM mit so vielen Vorrundendramen in den finalen Minuten. 15 der bisher erzielten 71 Treffer fielen in Russland nach der 85. Minute (Stand Sonntagmorgen). Darunter waren siegbringende Treffer wie für Uruguay, den Iran, Deutschland, Brasilien oder das zweite Tor der stärksten Schweizer aller Zeiten gegen Serbien. Und wie Tunesien sich gegen eine Niederlage im Duell mit England wehrte, um in der Nachspielzeit doch mit 1:2 zu verlieren, war aufregend, intensiv, mitreißend.

Umfrage-Fazit: „sehr dürftig“

Selbst die Defensivstrategen aus Island beherrschen einen Stil, der gut anzusehen ist, weil Trainer Heimir Hallgrímsson nicht nur destruktiv sein will. Island spielt einen technisch sauberen und strategisch durchdachten Konterfußball. Das prägende Stilmittel der vergangenen Bundesligasaison, nämlich der mit einer großen Portion Hoffnung, aber leider ohne konkreten Plan ins Mittelfeldgetümmel geschlagene Ball, kommt bei der WM praktisch überhaupt nicht vor.

Mexikos besiegte Deutschland nicht in einer zerstörerischen Abwehrschlacht, sondern mit einem sehr schlauen Konterfußball. Kaum eine Nation steht nur ängstlich am eigenen Strafraum, wie es in vielen dieser trostlosen Vorrundenpartien der EM 2016 der Fall war. Stattdessen wird jede Menge Energie in den Versuch gesteckt, Bälle aktiv zu erobern. Die allermeisten Spieler sind dabei beflügelt von dem Selbstvertrauen zu den besten ihres Landes zu zählen und ihre Nation zu vertreten. Und am Ende wurden sogar die armen Peruaner von ihren Fans für diese Haltung gefeiert.

Dass in einer „Sportbild“-Umfrage, an der fast 25 000 Personen teilnahmen, 97 Prozent der Befragten angaben, das Niveau der WM „sehr dürftig“ zu finden, ist vor diesem Hintergrund erstaunlich. Vielleicht sehen zu viele Leute im Alltag kaum noch Spiele über 90 Minuten, sind verwöhnt von Highlight-Shows, Konferenzen und Youtube-Zusammenschnitten. Als Maßstab führen Kritiker gerne das Niveau der Champions League an, wobei das Publikum dort ein halbes Jahr mit zum Teil sehr magerer Vorrundenkost gequält wird, bevor es zum Showdown kommt. Natürlich gibt es auch bei dieser WM Spiele, die nicht so gut anzusehen sind, aber im Vergleich mit anderen Turnieren gehört dieser Wettbewerb in Russland eher zu den niveauvolleren.