Die wenigsten Echterdinger wissen, warum auf ihrem Friedhof auch Grabsteine mit französischen Namen zu finden sind. Foto: Natalie Kanter

Der zweite Weltkrieg hat auch auf den Fildern vielen Menschen großes Leid gebracht. Der Museumsleiter Wolfgang Haug in Leinfelden-Echterdingen setzt sich für einen ruhigen Ort der Erinnerung ein, der Aussagekraft hat.

Leinfelden-Echterdingen - Mit dem Tod muss die Feindschaft enden. Er ist der große Gleichmacher“, sagt Wolfgang Haug am Ende eines zweistündigen Rundgangs durch Echterdingen. Der Leiter des örtlichen Heimatmuseums zitiert dabei einen Satz von Manfred Rommel. Der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister hatte einst mit ähnlichen Worten die Beerdigung der RAF-Mitglieder auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof verteidigt.

Haug fragt: „Wie viele Gedenkstätten brauchen wir also? Eine für die KZ-Opfer, eine für Menschen, die durch Fliegerangriffe ums Leben kamen, eine für im Krieg gefallene Soldaten?“ Anstatt erneut nachzubessern und mit Tafeln die Wege jüdischer Gefangenen durch die Filderorte nachzuzeichnen, wofür sich SPD-Stadträtin Barbara Sinner-Bartels einsetzt, macht sich der Echterdinger dafür stark, „dass wir das, was wir haben, weiterentwickeln zu einer ruhigen Gedenkstätte mit Aussagekraft.“ Denn: „Es ist nicht so, dass wir nichts haben.“

Auf zwei Quadratmetern wird in der ständigen Ausstellung des Echterdinger Heimatmuseums an jene 600 Männer jüdischer Herkunft erinnert, die im Winter 1944/45 in dem NS-Außenlager Echterdingen-Bernhausen leben mussten. Wer möchte, kann sich dort auch ein Interview mit Benjamin Gelhorn ansehen. Der Mann war einer der 600 Menschen, die man vor mehr als 75 Jahren jeden Tag aufs Neue zwang durch die Orte der Filder zu laufen, um beispielsweise in Steinbrüchen zu schuften.

Haug sagt: „Das war ein unbeschreibliches Verbrechen. Man muss aber auch sehen, in welchem Zustand die Menschen damals vor Ort gelebt haben.“ Neben dieser Station steht dann auch eine alte Alarmsirene, die Haug einst selbst vom Dach des alten Echterdinger Rathauses gerettet hat. Als Erinnerung daran, was es für die Bewohner der Filder in diesen chaotischen Kriegsmonaten bedeutete, um ihr Leben zu rennen, wenn nachts wieder ein Fliegerbomber zu hören war.

Es gibt auch ein Stahlhelm, Geschirr mit Hakenkreuz darauf und eine Nähmaschine – Dinge, die man aus Bombentrichtern gezogen hat. Ein Foto zeigt die zerstörten Häuser an der Echterdinger Hauptstraße. „Auch unser Elternhaus ist damals abgebrannt“, erinnert sich der Museumsleiter. Er war an diesem Tag zwei Jahre alt und ist mit seiner Mutter zunächst auf die Schwäbische Alb geflüchtet. Dort hat der Junge ein Jahr lang im Nebenraum einer Gaststätte gelebt.

Ein Stahlgewirr auf dem Friedhof

„Das alles ist nicht nichts“, sagt der Mann, der für die FDP im Gemeinderat sitzt. Wenn das Museum seinen Besuchern mehr über die Schrecken der NS-Zeit auf den Fildern erzählen soll, „bräuchten wir zehnmal so viel Fläche“, sagt er. Denn das Haus soll ja insgesamt die Geschichte der Stadt abbilden. So ist beispielsweise dem Spitzkraut, welches über eine sehr lange Zeit die einheimische Bevölkerung ernährt hat, nur wenige Quadratmeter Platz gewidmet.

Auf dem örtlichen Friedhof hält derweil eine Tafel und eine durch ein Stahlgewirr in zwei Hälfe gebrochene Steinplatte für die Nachwelt fest, was das Leben im KZ-Außenlager Echterdingen-Bernhausen ausmachte: Hunger, Kälte, totale Erschöpfung. Die Häftlinge sollten gebrochen werden: körperlich und seelisch. Das Kunstwerk von Raphael Habel wurde zum Volkstrauertag 1982, und damit lange bevor die KZ-Gedenkstätte am Flughafen gebaut wurde, errichtet. An diesem Ort der Erinnerung nagt der Zahn der Zeit. Das Kunstwerk liegt etwas versteckt in einem Eck. Wer es nicht kennt, wird vorbeilaufen. Wenige Schritte entfernt, findet man Gräber von Echterdinger Familien, die zwischen den Jahren 1939 und 1945 durch Fliegerbomben ums Leben kamen. Drei Steine tragen den Namen Fehrle, zwei der Toten waren Kinder, sie wurden drei und vier Jahre alt.

Ein bisher ungeklärter Absturz

Dahinter liegen auf dem bemoosten Boden zehn Grabsteine mit französischen Namen. Manche Buchstaben lassen sich kaum noch entziffern. Angehörige der französischen Exilregierung aus Vichy saßen am 9. Februar 1945 gemeinsam mit deutschen Soldaten in einem von der deutschen Luftwaffe erbeuteten, amerikanischen Bomber. „Sie wollten vermutlich weg – sich in Sicherheit bringen“, sagt Haug. In Zeiten bröckelnder Fronten sollten die Franzosen nach Südfrankreich geflogen werden.

In einer Veröffentlichung von Stadtarchivar Bernd Klagholz heißt es, dass ein Kommando namens Olga sie im französisch-spanischen Grenzgebiet mit dem Fallschirm absetzen sollte. Doch das gelang nicht. Auf freiem Feld zwischen Leinfelden und Echterdingen ist die Maschine abgestürzt. Bis auf einen Mann waren alle tot. War es ein technischer Defekt oder gar Sabotage? Die Ursache des Absturzes ist bis dato ungeklärt.

Wolfgang Haug wischt mit dem Handrücken ein paar Blätter von einem französischen Namen und sagt dann noch einmal den Satz von vorher: „Es ist also nicht so, dass wir nichts haben.“ Mit einer Stele, die im Echterdinger Kirchgarten steht, gebe es allein in Echterdingen drei Orte, die an die Toten des Zweiten Weltkrieges erinnern, sagt er. Seit Juni 2010 erzählt zudem nahe des US-Airfields die Gedenkstätte „Wege der Erinnerung“ nach einem Entwurf der Künstlerin Dagmar Pachtner von den Leiden der insgesamt 600 Häftlinge des KZ-Außenlagers Echterdingen-Bernhausen.

Der Museumsleiter hält nicht viel von der Idee, weitere Mahntafel im Ort aufzustellen. Wenn aber die Soldatengräber auf dem Friedhof wieder hergerichtet würden, wenn das dortige Kunstwerk einem Frühjahrsputz unterzogen würde und wenn man da „textlich was tun würde“, wie es Haug formuliert, wäre schon viel Zukunftsfähiges getan.