Die Schöllack-Frauen: Sonja Gerhardt, Claudia Michelsen, Maria Ehrich und Emilia Schüle (von links) Foto: ZDF

Die erste Staffel war ein Quotenknüller, nun malt das „Ku’damm“-Epos das Sittengemälde der fünfziger Jahre im ZDF (18., 19., 21, März, jeweils 20.15 Uhr) weiter aus. In Mehrteiler oder Spielfilme gepackte Historie und Zeitgeschichte ist die Spezialität der Produktionsfirma Ufa Fiction – was ist das Erfolgsrezept?

Stuttgart - „Ich seh’ deine Augen: Ihr sagt’s nein, aber ihr meint’s ja!“. Dann raunt er ihr noch einen unverschämten Rat in die Ohren: „Denk einfach an die großen Filme, die wir zusammen machen werden“ – und begrapscht grob ihre Brust.

Er – das ist Kurt Moser (Ulrich Noethen), Altnazi-Regisseur, der bis „44 den neuen Geist“ auf die Leinwand bannen durfte, nun aber, im West-Berlin des Wirtschaftswunderjahrs 1959, in Heimatschnulzen macht. Sie – das ist Monika (Sonja Gerhardt), die jüngste Tochter der Tanzschulenbesitzerin Caterina Schöllack (Claudia Michelsen), die sich zusammen mit ihrem Rock’n’Roll-Freund Freddy (Trystan Pütter) anschickt, ein Stern am Schmonzettenhimmel der jungen Republik zu werden. Beim sexuellen Übergriff in ihrer Garderobe kann sie Schlimmeres verhindern. Zum Glück ist sie eine ungehorsame junge Frau, die später den Blues-Song „I’m a Man“ kurzerhand in „I’m a Woman“ umtextet.

Da sind sie also wieder, die Nierentisch-Fünfziger, in die vor zwei Jahren der ZDF-Dreiteiler „Ku’damm 56“ so stilsicher und vor allem geschlechterrollenbewusst hineingeleuchtet hat. In „Ku’damm 59“, wiederum als Dreiteiler angelegt, malt die Drehbuchautorin Annette Hess mit Sven Bohse als Regisseur anhand des Schicksals der Schöllack-Schwestern das Sittengemälde jener Repressionsdekade weiter aus: Eine unverheiratete Mutter wie Monika muss sich „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel“ vorwerfen lassen; den Führerschein gibt’s für Ehefrauen nur mit Autorisierung des Gatten, und Homosexuelle werden von der Polizei verfolgt.

Metoo lässt grüßen

Eva (Emilia Schüle), Helga (Maria Ehrich) und Monika, die Töchter der die Dominanz des Mannes als Naturgesetz betrachtenden Caterina, sind zwar erwachsen, ihre Reibungen mit Rollenzwängen und Moralkodex aber nicht schwächer geworden. Monika kämpft um das Sorgerecht für ihre Tochter, für die Caterina die bislang kinderlose Helga als Pflegemutter auserkoren hat. Der kommt das Ziehkind zupass, um ihre auf Hochglanz polierte Ehefassade mit ihrem schwulen Staatsanwalt (August Wittgenstein) zu wahren. Und Eva wird von ihrem Mann, dem Nervendoktor Fassbender (Heino Ferch), mit Pflicht-Beischlaf im Schrankbett und, wenn’s sein muss, Handgreiflichkeiten unterm patriarchalen Daumen gehalten.

Alles ziemlich weit weg? Mitnichten: Die hässliche Belästigungs-Szene wird der Zuschauer des Jahres 2018 gar nicht anders denn als Spiegel von Weinstein, Wedel & Co. betrachten können, dabei sind die Drehbücher vor der Metoo-Debatte entstanden. Aber auch jenseits dieser Koinzidenz blicken Hess und Bohse unübersehbar aus heutiger Warte auf den schmerzvollen Kampf der Frauen für Selbstbestimmung – und docken so das verdichtete, stark überhöhte und bonbonbunt bebilderte Melodram an die Gegenwart an.

Dauerblüte der Erinnerungskultur im TV

Die erste Staffel der auch in der Fortsetzung allerdings allzu exemplarisch wirkenden Emanzipations- Geschichten erzielte 2016 einen starken Marktanteil von bis zu 19,6 Prozent. Nicht weiter überraschend also, dass die Produktionsfirma Ufa Fiction, der Ableger fürs Fiktionale der Traditions-Filmschmiede Ufa, nun nachlegt. Spätestens seit TV-Events wie „Der Tunnel“ und „Die Flucht“ und dem Kriegs-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ gilt der Produzent und Ufa-Chef Nico Hofmann als Spezialist für Historien-Epen im deutschen Fernsehen.

Im März 2017 rührte die Potsdamer Ufa Fiction im ARD-Sechsteiler „Charité“ Medizinhistorie, Sittenbild des Kaiserreichs und Liebesdrama munter zusammen und erzielte damit Traumquoten von durchschnittlich 23,3 Prozent. Näher an die Gegenwart heran hatte man sich Ende 2015 mit dem Spionagethriller „Deutschland 83“gewagt. Die Qualität überzeugte internationale Kritik und Preisjurys, ließ das RTL-Publikum aber kalt.

Auch von diesen beiden Produktionen gibt es noch in diesem Jahr Fortsetzungen zu sehen. „Charité“ springt vom 19. ins 20. Jahrhundert zu Figuren wie dem Chirurgen Ferdinand Sauerbruch; der Spionagethriller mit Jonas Nay rückt weiter ins Jahr 1986 - die zweite Staffel feiert im Herbst beim Streaming-Dienst Amazon Prime Video Premiere, erst danach kommt die Fortsetzung bei RTL ins Free-TV.

Mit „Charité“ Neuland betreten

Die Dauerblüte der Erinnerungskultur im deutschen Fernsehen hält also weiter an. Ist fiktionalisierte Historie ein Selbstläufer? Nein, sagt der Ufa-Chef Nico Hofmann. Sie funktioniere vor allem dann, „wenn die Perspektive eine neue und ungewöhnliche“ sei. „Es gab in den letzten zwanzig Jahren keine einzige Serie, die sich speziell mit der sexuellen Emanzipation, mit der verklemmten, verkrampften und antiweiblichen Gesinnung der fünfziger Jahre beschäftigt hat.“ Auch „Charité“ sei unter anderem deshalb so erfolgreich gewesen, „weil wir zum ersten Mal Medizin und Historie verknüpft haben.“ Die Fortsetzung zeige, welche Verantwortung Medizin in einem diktatorischen System wie dem Nationalsozialismus habe, „auch ein Thema, das so im Fernsehen fiktional noch nicht behandelt wurde“.

Freilich: Auch die Angebote von Streamingdiensten wie Netflix quellen vor historischen Stoffen über; auch Hofmanns deutsche Produktionskollegen wie Oliver Berben und Regina Ziegler plündern eifrig die ältere und jüngere Vergangenheit als Quelle für Serien- und Filmstoffe. Erst kürzlich rekapitulierte etwa Ziegler in der ARD das Geiseldrama von Gladbeck. Dass sich die Zuschauer gern von Retro-Stoffen fesseln lassen, mag auch ein Stück weit Eskapismus sein. Zurückgelehnt schaut man sich an, was es in zurückliegenden Epochen bedeutete, in die Zeit geworfen zu sein – ohne Gefahr zu laufen, sich selbst befragen zu müssen. „Welche Themen der Jetztzeit bieten sich denn für eine Serie an? Ein Film zur AfD – wie sollte dieser aussehen?“, stellt Hofmann die Gegenfrage. „Es ist sehr schwer, Themen wie Europa oder die Integration von Flüchtlingen, die uns aktuell beschäftigen und täglich in den Medien verhandelt werden, mit einem eigenen Ton für das Fernsehen zu fiktionalisieren und dem Zuschauer damit einen Mehrwert zu bieten. Sämtliche Fernsehfilme zum Thema Flüchtlinge etwa sind nicht gut gelaufen. Es scheint, die Menschen brauchen einen deutlichen Abstand, eine Distanz zu dem, was sie jeden Tag in den Nachrichten sehen.“

Von Kaiser Wilhelm über Hitler bis zu Porsche

Genau diesen Abstand bieten etliche Projekte, die Ufa Fiction derzeit in der Pipeline hat: Unter dem Titel „Wilhelm – der letzte Kaiser“ soll in einer Serie die schwierige Kindheit und Jugend von Kaiser Wilhelm II. wiederauferstehen. Ebenfalls als Mehrteiler angelegt ist ein Biopic über die „Jahrhundertfigur“ Sigmund Freud. Selbst vor einem so einem theoriebeladenen Stoff wie die Kunstbewegung des Bauhauses, die 2019 das Hundert-Jahr-Jubiläum feiert, schreckt man nicht zurück. Schon seit längerem auf der Agenda stehen „Die Porsche-Saga“ und eine Hitler-Serie. Für Letztere sucht Hofmann derzeit nach einem Sender.

Zu dieser Geschichtsseligkeit gibt es zum Glück ein Gegengewicht, die brennenden Themen der Jetztzeit finden als TV-Fiktion ja durchaus statt – etwa am Sonntagabend, wie auch Nico Hofmann konstatieren muss: „Es gibt kaum ein Thema der bundesrepublikanischen Wirklichkeit, das nicht vom ‚Tatort‘ aufgegriffen wird.“

Der „Ku’damm 59“-Auftakt tritt an diesem Sonntag gegen die Kölner „Tatort“-Kommissare an. Geschichte gegen Gegenwart – wer wird gewinnen? Der Zuschauer entscheidet.