Die Obere Mühle wird im Oktober zwangsversteigert. Foto: factum/Weise

Die Obere Mühle in Aidlingen wird zwangsversteigert. Der Grund sind Erbschaftsstreitigkeiten. Den Müller Ewald Oehler schmerzt der Verlust seines Elternhauses zutiefst.

Böblingen - Die Tür zur Vergangenheit bleibt Ewald Oehler versperrt. Mit aller Kraft rüttelt der 79-Jährige an der metallenen Klinke, vergeblich. „Da muss etwas verrostet sein“, sagt er, zuckt mit den Schultern und zieht den Schlüssel aus dem Schloss. Mit vorsichtigen Schritten steigt der Müllermeister die engen Steinstufen wieder nach oben, klopft sich Spinnenweben von der Kleidung und betritt das Metallgitter, unter dem das Wasser rauschend vorbeifließt. Dieses Haus, das ganze Gelände – das alles kennt Oehler wie seine Westentasche, immerhin ist er hier aufgewachsen. Bald schon muss er allerdings die Schlüssel abgeben, denn das Areal samt dem denkmalgeschützten Gebäude wird zwangsversteigert.

„Klar tut mir das weh, und wie“, sagt Oehler. Er habe auch auf juristischem Wege alles in seiner Macht stehende getan, um den Verkauf des Familienstammsitzes in Aidlingen (Kreis Böblingen) zu verhindern, doch vergeblich. Während einer Krankheit sei er von dem Plan zur Zwangsversteigerung völlig überrascht worden. „Das ging so schnell. Ich dachte, ich spinne.“

Äcker und Wiesen sind schon versteigert

Am Freitag, 26. Oktober, kommt die Obere Mühle in Stuttgart nun trotz seiner Gegenwehr unter den Hammer. Damit soll dann auch die zerstrittene Erbengemeinschaft aufgelöst werden, die aus Ewald Oehler und seinen beiden Brüdern besteht. Äcker und Wiesen, die ebenfalls im Besitz der Oehlers gewesen waren, sind schon veräußert worden.

Versteigert werden das alte Mühlgebäude, das an prominenter Stelle an der Aidlinger Hauptstraße steht, der benachbarte Garten am Mühlkanal mit Stauwehr, ein Stallgebäude aus dem Jahr 1957, ein Wohn- und Scheunengebäude, das seit den 1990er Jahren überwiegend ungenutzt ist, sowie ein Vierfamilienhaus mit Mietwohnungen aus dem Jahr 1990. Der Gesamtverkehrswert wird von einem Gutachter mit 1,444 Millionen Euro angegeben.

Erste urkundliche Erwähnung in 1495

Für Oehler hat aber vor allem die Obere Mühle einen ungleich höheren, da emotionalen Wert. Seit dem Jahr 1866 führten seine Vorfahren den Betrieb, damals hieß die Familie allerdings noch Nonnenmacher. Das denkmalgeschützte Mühlgebäude an sich ist noch viel älter, zum ersten Mal wird es im Jahr 1495 urkundlich erwähnt. Es gebe allerdings auch architektonische Hinweise, dass die Mühle eventuell ebenso wie die Aidlinger Kirche aus dem 11. Jahrhundert stammen könnte, sagt Oehler stolz. Dazu zählen etwa die vermeintlichen Schießscharten in der Hauswand, die auf den Fluss Aid blickt.

Lange war die Obere Mühle eine von insgesamt fünf Mühlen im Ort. Die Bauern aus den umliegenden Orten lieferten damals ihr Getreide mit Fuhrwerken an, um es mahlen zu lassen. Die Geschäfte in der Oberen Mühle liefen gut, auch weil die Gärtringer durch den Mühlenbann dazu gezwungen waren, ihr Korn dort abzuliefern. Probleme traten in den 1950er Jahren auf. Ewald Oehlers Vater Erwin hatte in der Oberen Mühle gerade eine vollautomatische Kleinmühle eingerichtet, da entstanden Unstimmigkeiten mit der Polizei. Diese störte sich an den Landwirten, die mit ihren mit dem Korn beladenen Fahrzeugen an der Mühle Schlange standen und so den Verkehr auf der Hauptstraße behinderten. „Sie standen damals bis zum Ortsende“, erinnert sich der Müller.

Also siedelte ein Teil des Betriebs in das damals noch neue Aidlinger Gewerbegebiet um. Beim dort neu gebauten Betrieb samt Silo wurden ab sofort die Waren angeliefert, der eigentliche Mahlvorgang fand weiterhin in der Oberen Mühle statt.

Das Gebäude steht leer

1984 übernahm Ewald Oehler, seit 1961 selbst Müllermeister, den Betrieb schließlich von seinem Vater, dann zog auch die eigentliche Mühle in das Industriegebiet um, wo sie sich auch heute noch befindet. „Dieser Betrieb hat mit der Versteigerung aber nichts zu tun“, stellt Oehler klar. Vor vier Jahren übergab er dessen Leitung an seine beiden Kinder. Das historische Gebäude der Oberen Mühle steht mittlerweile seit mehreren Jahren leer, davor hatte sich dort noch der Mühlenladen befunden, der seitdem auch an den Betrieb im Gewerbegebiet angegliedert ist.

Für Ewald Oehler brechen die letzten Tage an, in denen die Obere Mühle noch ihm gehört. Wehmütig lehnt er sich auf das metallene Geländer und sieht dem vorbeiströmenden Wasser zu. „Von mir aus müsste das alles nicht versteigert werden“, sagt er, seufzt und wendet sich ab.

Termin: Die Zwangsversteigerung findet am Freitag, 26. Oktober, um 11 Uhr in der Hauffstraße 5 in Stuttgart statt