Scott Walker bei einem Fernsehauftritt im Jahr 1969 Foto: Hulton Archive

Seine Hits mit den Walker Brothers und die Soloalben der späten 60er Jahre gehören zum Kanon der Popmusik. Doch Scott Walkers Einfluss reicht weit darüber hinaus.

Stuttgart - Hits der Walker Brothers wie „Make it easy on yourself“ oder „The Sun ain’t gonna shine (anymore)“ machten in den 60er Jahren sogar den Beatles eine ernsthafte Konkurrenz. Der blendend aussehende Sänger Scott Walker, geboren 1943 in Ohio als Noel Scott Engel, und seine „Brüder“ John Maus und Gary Leeds waren Teenie-Idole. Doch Scott Walker wurde der britischen Fan-Hysterie bald überdrüssig. Er strebte nach Höherem, beendete 1967 die emsige Hit-Produktion der Walker Brothers und bestätigte seinen Ruf als begnadeter Komponist.

Die vier Alben „Scott“ bis „Scott 4“ (1967 bis 1969) sind ein Wunderwerk und ergreifen bis heute noch jeden, der ein Gespür für große, ambitionierte Popmusik hat. Walker präsentierte sich als Songwriter der Extraklasse von „Montague Terrace (In Blue)“ auf dem Solodebüt bis zu „Rhymes of Goodbye“, dem letzten Stück auf „Scott 4“. Zudem zollte Walker in gewaltigen Arrangements Vorbildern wie dem belgischen Chansonnier Jacques Brel („Mathilde“, „Amsterdam“) Tribut, aber auch Songschreibern wie Burt Bacharach („Windows of the World“) oder Tim Hardin („Black Sheep Boy“).

„Ein netter feiner Außenseiter“

Walker revolutionierte die Popmusik. Seine fabelhafte Baritonstimme, seine konsequente Haltung als Künstler mit Mut zur Avantgarde – und damit zum Risiko – machten ihn zum Vorbild für David Bowie, Nick Cave, Marc Almond, David Sylvian, Pulp-Frontmann Jarvis Cocker oder den kürzlich gestorbenen Mark Hollis (Talk Talk). Der Radiohead-Frontmann Thom Yorke bezeichnete Scott Walker am Montag als „riesigen Einfluss“ für seine Band und ihn selbst: „Er zeigte mir, wie ich meine Stimme und Worte benutzen konnte.“ Zudem sei er „so ein netter, feiner Außenseiter“ gewesen.

Die Wandlung vom geschmeidigen Bombast-Pop der Walker Brothers über die orchestralen Solo-Alben der späten 60er bis zu den Sound-Experimenten späterer Jahre gehört zu den faszinierendsten Metamorphosen im Pop. „Eine der rätselhaftesten Figuren der Rockgeschichte“ nennt die Internet-Plattform Allmusic Scott Walker. Während seine frühen Soloalben teilweise noch die Top Ten der britischen Charts erreichten („Scott 2“ sogar Platz 1), war das Publikum von seiner kreativen Wucht und Eigenständigkeit zunehmend überfordert. Sein schwieriges Solowerk „Climate of Hunter“ (1983) soll das am schwächsten verkaufte Album des Labels Virgin sein, sein Comeback-Album „Tilt“ (1995) geriet sperrig, den schroffen Sound von „The Drift“ (2006) erzeugte seine Band teilweise mit Hieben auf Schweinehälften.

Später machte Walker sich rar

Bisweilen haderte Walker mit seinem Avantgardisten-Status. „Ich bin zum Orson Welles der Musikindustrie geworden“, sagte er 1995 der Zeitung „The Independent“. „Man will mit mir Mittagessen, aber niemand will den Film finanzieren.“ So blieb Scott Walker, der kaum Interviews gab und sich in der Öffentlichkeit rar machte, während seiner späten Karrierejahre ein Künstler für Kenner und ein Kritikerliebling. Nun ist er im Alter von 76 Jahren gestorben. In Erinnerung bleiben wird er als Komponist einiger der anmutigsten, berührendsten Melodien der Popgeschichte.