Ennio Morricone im Jahr 2013 vor einem Konzert in Berlin Foto: AP/Michael Sohn

Der Filmkomponist Ennio Morricone hat die Welt verzaubert, angerührt und auch erschreckt mit seinen Melodien. Nun ist er im Alter von 91 Jahren in Rom gestorben.

Stuttgart - Würde ein Western des italienischen Regisseurs Sergio Leone ohne Ton abgespielt, könnte es schon nach kurzer Zeit passieren, dass Teile des Publikums vor Langeweile in süßen Schlummer fallen; denn die monumentalen, oft nur von Mienenspiel und Gesten getragenen Einstellungen entfalten ihre besondere Magie erst im Zusammenspiel mit der Musik des Komponisten Ennio Morricone. Wie eine zweite Bildebene wirken dessen Klänge, die Seelen zum Schwingen bringen und in denen sich Stimmungslagen und Weltbilder spiegeln.

Das war so in Leones erstem großen Erfolg „Für eine Handvoll Dollar“ (1964), in dem ein gerissener Revolverheld rivalisierende mexikanische Clans gegeneinander ausspielt. Kunstvoll gepfiffen zum Gitarren-Picking, umreißt sie die Grundstimmung einer Weite voller unwägbarer Gefahren, ehe elektrische Gitarre, Stimmen und imitiertes Hufgetrappel hinzukommen. „Welcher Schauspieler würde nicht in eine Stadt einreiten wollen, wenn diese Art Musik in seinem Rücken spielt?“, sagte damals der Hauptdarsteller Clint Eastwood, der mit diesem Film ebenfalls die Weltbühne betrat.

Das Meisterstück mit der Mundharmonika

Anders als viele andere Komponisten, die auf klassische Orchester-Scores setzten, nutzte Morricone Schreie, Coyoten-Geheul, Maultrommeln, Uhrenticken oder Peitschenknallen. In der Titelmelodie zu „The Good, The Bad and the Ugly“ (1966) verarbeitete er eine Art Tarzanschrei zum Hauptmotiv, das zunächst als sanftes Pfeifen über dem Wind daherkommt. Dann dröhnen Stimmen, Pauken und Gitarren beim Wettstreit dreier Glücksritter, Gauner und Mörder vor der Kulisse des amerikanischen Bürgerkriegs. Zum Showdown auf einem Soldatenfriedhof erstrahlt in schwermütiger Sehnsucht der Klassiker „The Ecstasy of Gold“, mit dem die Band Metallica seit Mitte der 80er Jahre alle ihre Konzerte eröffnet.

Zum Meisterstück geriet Morricone die Musik zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968): In der Melodie der einsamen Mundharmonika, die der namenlose Protagonist spielt, liegen der ganze Schmerz, die ganze Gier, die ganze Verrohung, die Leone hier am Beispiel des skrupellos vorangetriebenen Eisenbahnbaus vorführt. In Kombination mit der Musik entsteht eine vollständige Entzauberung des Wildwest-Mythos.

Eingängige Themen

Morricone komponierte Musik für rund 30 weitere Italo-Western, doch bald häuften sich die Anfragen aus aller Welt auch für andere Stoffe – über 400 ganz unterschiedliche Soundtracks hat der Maestro geschrieben. Am Montagmorgen nun ist er 91-jährig in einem Krankenhaus in Rom gestorben als Folge eines Sturzes, bei dem er sich ein Bein gebrochen hatte.

Disziplin und Neugier seien seine Antriebsfedern, hat der gelernte Trompeter Ennio Morricone 2004 gesagt: „Inspiration gibt es nicht. Was es gibt, ist eine geringfügige Idee, die der Komponist am Schreibtisch entwickelt. Und diese kleine Idee wird etwas Bedeutendes.“ Oft waren es bestechend eingängige Themen, mit denen er die Kinozuschauer mitfühlen, mitlieben und mitleiden ließ.

Eine Melodie für Terence Hill

Für Bernardo Bertolucci komponierte Morricone mehrere Musiken, etwa zum über fünfstündigen Klassenkampf-Drama „1900“ (1976), in dem Robert de Niro und Gerard Dépardieu die Söhne eines Herrn und dessen Dieners spielen. In der Western-Farce „Mein Name ist Nobody“ (1973) führte der Komödiant Terence Hill den Mythos vom Revolverhelden (Henry Fonda) ad absurdum und Morricone half ihm dabei, indem er der clownesken Hauptfigur eine luftig-fröhliche Melodie auf den Leib schrieb.

Die französische Komödie „Ein Käfig voller Narren“ (1978) von Édouard Molinaro, in dem der Sohn eines schwulen Paares die Tochter eines homophoben Politikers heiraten möchte, unterlegte der Komponist mit einer Varieté-Musik für den Drag-Queen-Club, den selbiges Paar in St. Tropez betreibt. Seine erste Oscar-Nominierung bekam er 1979 für die schwermütige Musik zu Terrence Malicks texanischem Industrialisierungsdrama „in der Glut des Südens“.

In Hollywood kam er an

Dem französischen Krimi „Der Maulwurf“ (1981) schenkte Morricone mit Pariser Musette-Flair durchsetzte Klänge, dem Thriller „Der Profi“ (1981) mit Jean-Paul Belmondo als verratenem Agenten auf Rachetour eine atemberaubend wehmütige Untermalung. Morricone vertonte auch Leones letztes Werk: „Es war einmal in Amerika“ erzählt die Geschichte einer New Yorker Bande, die in die Alkohol-Prohibition einsteigt, zum Syndikat wird und schließlich an Gier und Verrat scheitert – begleitet von den Klängen einer betörenden Flöte.

1988 begann der Komponist eine langjährige Partnerschaft mit seinem Landsmann Giuseppe Tornatore. Dessen historischer Bilderbogen „Cinema Paradiso“ (1988) über ein sizilianisches Dorf und sein Kino lebt zu einem guten Teil von dem emotional überbordenden Soundtrack. Zugleich komponierte Morricone eine mystische Musik zu Brian de Palmas Krimi „The Untouchables“ mit Kevin Costner und Sean Connery und bekam dafür seine zweite Oscar-Nominierung. Er schrieb auch für Roman Polanski („Frantic“, 1989), Barry Levinson („Bugsy“, 1991) und Wolfgang Petersen („In the Line of Fire“, 1993) – Morricone war endgültig in Hollywood angekommen.

Er blieb durch und durch Römer

Dabei blieb er Zeit seins Lebens durch und durch Römer. Morricone absolvierte als Dirigent zwar viele Orchester-Tourneen, wollte aber nie fort aus seiner Heimat und keinen Zweitwohnsitz in Hollywood. Als er 2007 seinen Ehrenoscar bekam und die Film-Prominenz im Saal geschlossen aufstand, um zu applaudieren, bedankte er sich auf Italienisch – und der Laudator Clint Eastwood übersetzte für ihn.

Einen spezifischen Oscar für die beste Musik bekam er dann doch noch: im Jahr 2016 für Quentin Tarantinos Spätwestern „The Hateful Eight“. Der Regisseur hatte den Komponisten lange umgarnt und in „Kill Bill“ (2003) und „Inglourious Basterds“ (2009) Werke von ihm verwendet. Bei „Django Unchained“ (2012) steuerte Morricone dann ein neues Stück zum Soundtrack bei und bei „The Hateful Eight“ beklemmende Klänge, die unterschwellige Spannung erzeugen und wirkungsvoll den das abschließende Blutbad untermalen.

Musik für den Papst

Auch geistliche Werke verfasste Morricone, unter anderem eine Messe für Papst Franziskus, in die Teile seiner wunderbar anrührenden Musik aus dem Film „Die Mission“ (1986) einflossen, Roland Joffés Drama über Jesuiten im 18. Jahrhundert in Südamerika. In einer Beileidsbekundung des Vatikans auf Twitter zu Morricones Tod schrieb nun der päpstliche Kulturbeauftragte Gianfranco Ravasi: „Vielleicht beauftragt Gott ihn mit einer Partitur, auszuführen von den Engelchören.“