Julia Wössner hält ihre Hilfe für eine hilflosen Frau für ganz normal. Foto: Gottfried Stoppel

Sie standen einer Verletzten bei, hielten einen Räuber fest, stoppten einen betrunkenen Autofahrer oder schützten einen S-Bahn-Fahrgast vor Schlägen: Die Initiative Sicherer Landkreis hat couragierte Menschen ausgezeichnet.

Rems-Murr-Kreis - Julia Wössner ist der Rummel um ihre Person etwas unangenehm. Natürlich habe sie sich auch über den Preis für Zivilcourage gefreut, den ihr die Initiative Sicherer Landkreis (ISL) Rems-Murr verliehen hat, sagt die 28-jährige Schwaikheimerin: „Ich finde aber nicht, dass ich etwas Megakrasses gemacht habe. Das war etwas ganz Normales.“ Deshalb wollte sie zunächst auch kein Interview geben, ließ sich dann aber doch noch davon überzeugen, nicht nur Gutes zu tun, sondern auch darüber zu reden.

Was sie getan hat? Julia Wössner war auf dem Heimweg von der Hochschule in Schwäbisch Gmünd, wo sie ihren Masterabschluss in Bildungswissenschaften macht. Am Kreisverkehr am Schwaikheimer Ortseingang fiel ihr am 13. Dezember eine Frau am Straßenrand auf. „Sie hat am Ortsschild gelehnt, und ich habe gesehen, dass sie schwankte und nicht laufen konnte“, erzählt Wössner, die daraufhin eine weitere Runde im Kreisel drehte und überlegte, was sie tun sollte. Dabei sei ihr sofort klar gewesen: „Ich kann da nicht einfach vorbeifahren“, berichtet Wössner.

„Ihre Hose war voller Dreck, ihre Nase hat geblutet“

Andere Autofahrer hatten indes keine Skrupel. Sie seien ebenfalls an der Frau vorbeigekommen, doch niemand stoppte – im Gegensatz zu Wössner. „Ich habe neben ihr angehalten, den Warnblinker angemacht und habe sie zu mir ins Auto gesetzt.“

Die Frau im Alter von etwa Mitte 50 sei in keiner guten Verfassung gewesen. „Ihre Hose war voller Dreck, ihre Nase hat geblutet, das Kinn war aufgeschürft, und sie war ganz zittrig.“ Offenbar war die Frau zuvor gestürzt. Zudem fiel Wössner auf, dass sie nach Alkohol roch. Doch helfen lassen wollte sich die Angetrunkene nicht, die nicht nur wegen ihres Alkoholkonsums, sondern auch aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse schlecht sprechen konnte. Sie wollte ihren Weg zur S-Bahn fortsetzen.

Wössner wollte die Verletzte nicht einfach gehen lassen und verständigte den Rettungsdienst. „Dabei habe ich mich schlecht gefühlt, weil ich dachte, dass ich die Frau vielleicht bevormunde.“ Aber deren Tochter, die zufällig auf dem Handy anrief, sei dankbar für die Hilfe gewesen und froh, dass sie sich um ihre Mutter gekümmert habe. Kontakt hat Wössner heute keinen mehr zu der Frau. Lediglich durch einen Polizeibericht in der Zeitung habe sie erfahren, dass die Frau später von Beamten nach Hause gebracht wurde.

Die Medaille der ISL kommt in die Erinnerungskiste

Die Urkunde und die Medaille, die sie von der ISL für ihre Zivilcourage überreicht bekam, werden die Mutter einer knapp zweijährigen Tochter wohl immer an sie erinnern. Erhalten sie einen Ehrenplatz an einer Wand oder in einer Vitrine in der Wohnung? Wössner lacht verlegen. „Sie sind in meiner Erinnerungskiste“, erwidert Wössner bescheiden. Denn nachdem sie weiß, wofür andere mit dem Zivilcourage-Preis gewürdigt wurden, findet sie ihre Tat noch weniger ehrenswert.

Die ISL sieht das anders: „Die selbstlose Hilfe von Frau Wössner verhinderte bleibende Körperschäden bei der gestürzten Frau“, schreibt die Initiative in ihrer Pressemitteilung. Schließlich herrschten am 13. Dezember winterliche Temperaturen.

Räuber festgehalten und eine Unfallstelle geräumt

Neben Julia Wössner sind auch ausgezeichnet worden: Tatjana und Andreas Schmidt aus Oppenweiler sowie der Stuttgarter Robert Gehrung, die betrunkene Autofahrer stoppten. Heinz Eigel aus Winnenden reanimierte einen verunglückten Autofahrer. Horst Deuring (Oberstenfeld im Kreis Ludwigsburg), Gerhard Trabert (Burgstetten) Thomas Rienesl und Jochen Zowe (beide Kirchberg) hielten in Kirchberg einen Räuber fest, der eine Metzgerei überfiel.

Detektivische Fähigkeiten bewies Conny Mehlhorn aus Weinstadt: Sie beobachtete, wie jemand aus einem Auto einen Hausschlüssel stahl und mit diesem dann in die Wohnung des Eigentümers eindrang. Heldenhaft handelten die Flüchtlinge Odai Ghanem und Husin Otman, die sich am Waiblinger Bahnhof schützend vor einen Fahrgast stellten, der von einem Betrunkenen geschlagen und getreten wurde. Und Donna Baisch und Marvin Bölstler schützten andere Verkehrsteilnehmer, indem sie in Waiblingen eine Unfallstelle räumten

Das steckt hinter der Initiative Sicherer Landkreis:

Die Initiative Sicherer Landkreis Rems-Murr (ISL) ist im Jahr 1996 als erster bürgerschaftlicher Verein zur Kriminalitätsverhütung in Baden-Württemberg gegründet worden. Der Schwerpunkt seiner Arbeit ist im Bereich der Jugendkriminalität. Seit ihrer Gründung zeichnet die ISL Bürger für ihre „tatkräftige Mithilfe und ihren sehr persönlichen Einsatz“ bei Rettung beziehungsweise Hilfeleistung aus, wenn Gefahr für Leib und Leben beseht, sowie bei der Aufklärung von Straftaten. Mit dem Preis möchte sie Bürgern Mut machen, wieder mehr Zivilcourage zu zeigen und sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen.

Die ISL hat sich zum Ziel gesetzt, alle 31 Kommunen im Rems-Murr-Kreis von einer Mitgliedschaft zu überzeugen. Zum Jahresbeginn waren es 17, als jüngstes Mitglied ist jetzt Remshalden beigetreten.