Der Komponist und Musiker Yann Tiersen Foto: Christopher Fernandez

Yann Tiersen begeistert in der Liederhalle mit weihevollen Klanglandschaften zwischen Neo-Klassik, Folk und Elektronik.

Stuttgart - Knapp zwanzig Jahre liegt Yann Tiersens bekannteste Arbeit, die Filmmusik zu dem französischen Spielfilm „Die fabelhafte Welt der Amélie“, nun schon zurück. Rund ein Dutzend weiterer Alben ließ der bretonische Multiinstrumentalist seither folgen, die aber nicht im entferntesten die Breitenwirkung seines größten Erfolges erreichten. Dass der Beethovensaal am Sonntagabend dennoch zu mehr als drei Vierteln gefüllt ist, zeigt: Mit seinem zwischen Neo-Klassik, Folk und Elektronik angesiedelten Stil trifft Tiersen bei einem jungen bis jung gebliebenen Publikum jenseits konventioneller Pop-/Rock-Gefilde einen Nerv. Dem Schönklang verpflichtet zeigt sich seine Musik in der Liederhalle, aber auch moderat avantgardistisch, archaisch, bisweilen erratisch.

Ein englischsprachiger, aus dem Off zugespielter und leider deutlich zu schnell gesprochener Monolog eröffnet den rund zweistündigen Abend: halb Wolfssaga, halb Zivilisationskritik. Danach übernimmt Tiersen zunächst solo am Steinway-Flügel mit diversen Pianominiaturen – so kontemplativ wie unkompliziert und wie geschaffen dafür, den Trockeneisnebeln bei deren Aufstieg ins Scheinwerferlicht zuzuschauen. Dann tritt seine dreiköpfige Band hinzu: Sängerin und Ehefrau Emilie, ein färingischer Keyboarder und ein französischer Landsmann, allesamt an diversen Instrumenten tätig und gekleidet in Existenzialisten-Schwarz. Einzige optische Extravaganz: Tiersens Motiv-T-Shirt, bei dem man nicht genau weiß, ob es nun Conchita Wurst, eine Transgender-Mona Lisa oder eine Dürer’sche Jesusdarstellung zeigt.

Tiersen spielt auf einem Steinway, auf Clavichord, Melodica, Akkordeon und Geige

Auch Tiersen selbst macht seinem Ruf als Beinahe-Alleskönner fortan alle Ehre, bedient auch Clavichord, Melodica und Akkordeon und zeigt sich insbesondere an der Geige als veritabler Virtuose. Als vierter im Bunde spielt ein altes, Alex getauftes Tonband Field Recordings ab, die Tiersen in der kalifornischen Wildnis und rund um den stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof sammelte: Vogelgezwitscher, Windrauschen, Alltagsgeräusche. Abgerundet wird diese Musik zwischen Minimalismus und Mystizismus, werden Klänge auf halbem Weg zwischen der australischen Schamanen-Combo Dead Can Dance und dem amerikanischen Tonsetzer Philip Glass von bedeutungsvoll geschlagenen Trommeln und dem silbrigen Klang diverser Röhrenglocken. In großzügigen Dimensionen angelegt – warum soll eine Komposition nur vier Minuten lang sein, wenn sie auch während sieben oder acht mäandern kann? –, folgt das alles einer aparten Dramaturgie zwischen Zufall und Präzision: Exakt so, denkt man manchmal, muss das alles klingen – es könnte aber ebenso gut auch ganz anders funktionieren. Und dass alles ein wenig kunstvoll vergeistigt wirkt? Ist nicht das Schlechteste in einem Zeitfenster, in dem sich die moderne Zivilisation zu weiten Teile geistig nicht gerade auf Wachstumskurs befindet.