Xavier Naidoo bei seinem Auftritt in der Stuttgarter Schleyerhalle Foto: Lichtgut/Oliver Willikonsky

Der Mannheimer Soulsänger begeistert 10 000 Fans bei seinem Gastspiel in Stuttgart. Unplugged glänzt er mit allen musikalischen Qualitäten. Nur wenn er zwischendurch spricht, wird es unangenehm.

Stuttgart - Er spielt auf einer leuchtenden Plattform, wird begleitet von nur drei Musikern. Gemeinsam mit ihnen tritt er auf, geht durch die Zuschauerreihen in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle zur Bühne hinauf. Xavier Naidoo gibt am Freitagabend das zweite Konzert seiner aktuellen Tournee. Begonnen hat sie tags zuvor in Nürnberg, durch sechs weitere Städte wird sie ihn führen, in Deutschland, Österreich, der Schweiz.

„Nicht von dieser Welt“ – so hieß Xavier Naidoos Debütalbum, vor fast 20 Jahren, so hat der 46-jährige Soulsänger aus Mannheim nun auch seine Tournee benannt. Das Besondere an diesen Konzerten: Naidoo und seine Musiker spielen unplugged, auf zumeist akustischen Instrumenten, in einem Format also, das einen Auftritt immer adelt, zu einem Ausweis echten Könnens macht. Und so ist es auch in Stuttgart, so ist es auch bei Xavier Naidoo: Auf einer Bühne, die daliegt wie ein großes schillerndes Raumschiff, umgeben von 10 000 Zuschauern, gibt er ein Konzert von staunenswerter Musikalität. Da wird Klang so fein, so sicher, so detailverliebt ausgestreut, dass all der Unmut, den der Sänger erst noch verursachte, fast vergessen scheint.

Acht Monate sind vergangen, seitdem Xavier Naidoo und seine Gruppe Die Söhne Mannheims sich mit dem Song „Marionetten“ nach rechts außen stellten, Zeilen sangen, die als Angriff auf den Rechtsstaat gewertet wurden. Immer wieder hatte Naidoo durch Auftritte und Äußerungen zuvor schon den Verdacht erregt, er positioniere sich antidemokratisch, populistisch. 2015 sollte er für Deutschland beim Eurovision Song Contest antreten; starke öffentliche Proteste verhinderten es. Am Freitagabend steht in der Stuttgarter Schleyerhalle einer auf der Bühne, der, so scheint es, laut und deutlich sagen möchte: Schau her, ich bin vor allen Dingen Musiker.

Traumhaft lässig sinken die Silben in die Melodien hinein

Xavier Naidoo überzeugt an diesem Abend in künstlerischer Hinsicht durch und durch. Kein deutschsprachiger Sänger des Soul beherrscht seine Stimme auf vergleichbare Weise, zerlegt wie er Sätze in Silben, die er traumhaft lässig in Melodien hineinstreut. Während viele seiner Kollegen und Kolleginnen ihre Zeilen ungelenk manieriert phrasieren, wirkt Naidoo einfach nur souverän. Er beherrscht die leisen Momente, versteht es, seinen Gesang zu steigern, ihm Wärme, Emotion, Dringlichkeit zu geben; er gestaltet seine Stücke intelligent, vielseitig, dynamisch. Kurz: Er ist ein großartiger Sänger. Und er enthält sich aller politischen Kommentare an diesem Abend – fast.

Ein wenig plaudert Xavier Naidoo von seinen Vaterfreuden auf der runden Bühne in der Schleyerhalle, erzählt davon, wie sein Sohn ihm vom Tisch fiel, vom großen Schreck des Vaters. Wenn er später ein Lied „unseren starken Müttern“ widmet, dann ist das gewiss gut gemeint, hat aber doch einen eigentümlichen Klang. Naidoo erzählt auch, dass er die täglichen Nachrichten nie versäumt. „Ich bin ein News-Junkie“, sagt er. „Mir bringt das keine Angst; ich will einfach nur wissen, mit was wir gerade angelogen werden.“ Und dann ist da noch das Pathos, das seine Lieder füllt; die Erotik, der in der Soulmusik eine so große Rolle zukommt, hat bei ihm keinen Platz. An ihre Stelle tritt die christliche, heroische Errettung der Welt. „Alles kann besser werden“, singt Xavier Naidoo; „Mach dir keine Sorgen“, „Halte durch“; „Mut zur Veränderung“, „Wenn du es willst“.

Doch von was träumt der Sänger eigentlich ganz genau?

Die Bühne in der Schleyerhalle dreht sich, verändert dabei ihre Farbe, strahlt in Blau, in Rot. Xavier Naidoo sitzt auf einem Hocker, Schiebermütze, dunkle Brille, seinen Musikern zugewandt. Über der Bühne durchscheinende Leinwände, darauf sein Bild, auch das von Alex Auer, der die Gitarre spielt, Neil Palmer, der am Flügel sitzt. Sie kleiden Naidoos Gesang in delikate, luftige Klänge, umspinnen ihn mit lyrischem Gefühl, kosten auch die Stille aus, lassen ein Stück wie „Sie sieht mich nicht“, 1999 von Naidoo eingesungen für den Soundtrack des Filmes „Asterix und Obelix gegen Cäsar“, noch schöner klingen. Und Rhani Krija, der nicht nur mit Sting, auch mit Chick Corea, Herbie Hancock zusammenarbeitete, spielt für Xavier Naidoo die Percussion – ihm zu lauschen, den Schlägen, mit denen er leise, präzise und lebhaft die Musik bestimmt, ist beglückend, verzaubert diesen Abend. Bei „Alle Männer müssen kämpfen“ und „Kraft“ kommt Cassandra Steen zum Duett mit Naidoo auf die Bühne, Soulsängerin geboren auf den Fildern, vom Publikum mit Jubel begrüßt.

Xavier Naidoo singt in Stuttgart seine großen Hits, und er singt auch eine Coverversion. Bei Sam Cookes „A Change is gonna come“ zeigt er sich in größter Form, tritt auf mit einer Intensität, die seinen Vorbildern kaum nachsteht. Und doch enthüllt gerade dieser Song Naidoos Dilemma: Welch eine Veränderung, das fragt man sich unwillkürlich, ist es, die ein Sänger, der vorgestern noch mit Reichsbürgern kokettierte, wirklich herbeisehnt.