Hier geht keiner gut mit dem anderen um: Ralph Hönicke als Doctor, Markus Michalik als der Idiot Karl, Ulf Deutscher als Hauptmann und Florian Stamm als Franz Woyzeck (v.li.) Foto: Björn Klein

An der WLB Esslingen ist die mit Songs von Tom Waits angereicherte Fassung von Büchners „Woyzeck“ wieder ins Programm genommen worden. Sehenswert – nicht nur für Gymnasiasten!

Esslingen - Liebe Gymnasiasten, Georg Büchner ist kein Sternchenthema mehr; fürs Abi 2019 sind jetzt andere Autoren gefragt. Schade eigentlich. Denn was dieses hitzköpfige Genie vor fast 200 Jahren als Fragment hinterlassen hat, ist nach wie vor so verstörend wie modern. In kurzen Bildern sind schlaglichtartig Szenen aus dem Leben des Franz Woyzeck aneinander gereiht, einer von den ganz kleinen Leuten. „Wenn wir in den Himmel kämen, müssten wir dort donnern helfen“, sagt er einmal zu seinem Hauptmann, der ihn schlimmer wie einen Hund behandelt. Noch wüster geht nur noch der Doktor mit Woyzeck um, der ihn für medizinische Experimente missbraucht und auf eine Erbsendiät gesetzt hat – ganz so wie es der Maggi-Erfinder Justus Liebig auch propagiert hat. Bis Woyzeck den Verstand verliert und das Liebste tötet, was er hat: seine Marie.

An der Württembergischen Landesbühne Esslingen (WLB) ist jetzt eine musikalisch aufgepeppte Version dieses Dramas vom Opfer, das zum Täter wird, zu sehen, eine Wiederaufnahme aus der Spielzeit 2014. Die Songs, die das Geschehen kommentieren, stammen vom Tom Waits. Liebe Gymnasiasten, das ist ein US- Songwriter, den Eure Eltern damals in den Neunzigern zu schätzen wussten. Zusammen mit dem Regisseur Robert Wilson hat Waits im Jahr 2000 das Büchner-Stück als grelles Jahrmarktspektakel umgesetzt, die Inszenierung ging um die Welt. In Esslingen hat Marcel Keller 2014 und auch jetzt wieder Regie geführt, für die Wiederaufnahme hat er allerdings eine schräge Bühne mit einem Mini-Orchestergraben für die vierköpfige Band neu hinzugefügt. Falls Ihr mit dem Gedanken spielt, Euch einmal live anzuhören, welche düster-berührenden Songs Eure Eltern gut fanden, als sie noch jung waren – tut das, liebe Oberstufenschüler. Die Schauspielerinnen und Schauspieler geben ihr Bestes, und bei manchen ist das richtig viel.

Hier geht keiner gut mit dem anderen um

„If there’s one thing you can say about mankind – there’s nothing kind about man“ ist der Refrain des ersten Titels. Das ist nicht nur eine griffige Songline, sondern auch das Programm des Stücks: Hier geht keiner gut mit dem anderen um. Der Doktor (Ralph Hönicke) redet nur von einem Casus und nicht von einem Patienten, der Hauptmann (Ulf Deutscher) demütigt Woyzeck mit Worten und Gesten. Beiläufig lässt er seine Jacke fallen, gehetzt hebt sie Woyzeck auf. Man kann das Drama auch als Studie einer schizophrenen Erkrankung lesen. So spielt Florian Stamm die Hauptfigur: als hypersensiblen Menschen, der von seiner Umgebung, seinen inneren Stimmen so lange gepeinigt wird, bis er rot sieht. Es braucht nicht viele Requisiten und nur sehr wenig Kunstblut, um die Brutalität zu zeigen, die im Leben Woyzecks die Begleitmusik spielt. Großartig ist etwa die Szene, in der der animalisch-sinnliche Tambourmajor (Antonio Lallo)Woyzeck verdrischt – eine Art Pantomime. Das ist Schauspielkunst vom Feinsten und lohnt den Gang ins Theater allemal, Sternchenthema hin, Abitur her.