24. Dezember – Heiligabend: Trautes Heim, Zeit für die Familie. Foto: fotolia

Der Glaube kommt vom Hören – und vom Reden. Wäre Weihnachten nicht die ideale Gelegenheit damit anzufangen?

Stuttgart - Jeder kennt solche Momente, wenn einem plötzlich die Worte fehlen. Selbst extrovertierten Zeitgenossen ergeht es so. Zu allem und jedem weiß man etwas zu sagen, doch bei der simplen Frage „Woran glaubst Du?“ verstummt man plötzlich. „Manche reden eher über ihre Sexualität als über ihren Glauben. Dort fehlen uns oft die Worte“, sagt die evangelische Theologin Margot Käßmann.

Wirklich nur „manche“? Für die meisten Jüngeren und Junggebliebenen ist Sex kein Tabuthema mehr. Woody Allens Kult-Film von 1972 „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ ist längst ein alter Hut. Sexuelle Aufklärung ist mittlerweile selbstverständlicher als Glaubensunterweisung.

„Wie hast du’s mit der Religion?“ Gretchens Frage aus Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ beantwortet der Doktor Faust geradezu postmodernistisch: „Ich habe keinen Namen dafür! Gefühl ist alles.“ Religion auf ein ständig schwankendes, verwirrtes Gefühlsleben zurückzuführen, ist der Trend unserer Zeit. Glaube ist für viele ein nebulöser, schwammiger und unpräziser Begriff. Eine Sprachhülse, die man nicht sinnvoll mit Wörtern füllen kann – und deshalb lieber schweigt. Vielleicht, weil man glaubt nichts zu sagen zu haben; oder man sich nicht blamieren will; oder einem das Thema schlicht unwichtig erscheint.

„Zweifel gehört zum Glauben dazu“

Nicht nur, dass die Botschaft des Evangeliums von immer weniger Menschen hier zu Lande geglaubt wird – sie ist ihnen gar nicht mehr bekannt. Das Wissen um den Glauben verflüchtigt sich in einem atemberaubenden Tempo – bis zur Bedeutungslosigkeit. Was bei der älteren Generation noch lebendig vorhanden ist, löst sich bei Jüngeren ins Nirwana auf. Christlicher Glaube kommt im Leben und Denken vieler Kinder und Jugendlicher nicht einmal mehr rudimentär vor.

Der religiöse Analphabetismus droht die über Jahrhunderte gewachsene Glaubenskultur mehr und mehr zu verdrängen. Zu Recht plädiert Margot Käßmann deshalb für eine „neue Sprachfähigkeit“. Die Menschen hätten so viele Fragen und trauten sich oft nicht, sie zu äußern. „Ich finde, Zweifel gehört zum Glauben dazu. Ich würde mir wünschen, wir würden mehr Räume finden, darüber zu sprechen.“

Der Zweifel ist der Anfang jeden Glaubens. Um darüber zu reden, muss man kein Gelehrter und des theologischen Fachchinesisch mächtig sein. Man muss nur das Alphabet kennen. Der erste Buchstabe des Glaubens-Alphabetes ist nicht das A, sondern das Z – wie Zweifel. Der Zweifel kann am Menschen nagen, seine Zuversicht auffressen, sein Vertrauen in Verzweiflung, Verbitterung und Wut umschlagen lassen. Er lässt ihn aber auch Dinge hinterfragen, macht ihn neugierig und nötigt ihn Fragen zu stellen. Wer nicht fragt, bleibt nicht nur dumm (das wissen schon Vorschulkinder aus der „Sesamstraße“), sondern auch ungläubig.

Der Glaube kommt vom Hören und Reden

Mit dem Glauben ist es wie mit der Sexualität: Man sollte nicht nur an Feiertagen wie Weihnachten darüber nachdenken, sondern ihn auch praktizieren. Glaube drängt zur Tat, womit nicht der regelmäßige Kirchgang, der obligatorische Besuch des Weihnachtsgottesdienstes oder das Treffen im Hauskreis gemeint ist. Dass sehr viele solch religiösen Versammlungen und frommen Übungen wenig abgewinnen können, macht überhaupt nichts. Denn der Glaube ist zuallererst eine Grundhaltung des Vertrauens und Sich-Öffnens. Er entsteht im Dialog, kommt vom Hören und Reden. Dafür braucht es eine Gemeinschaft des Zweifelns, Fragens und Antwortens.

Wäre Weihnachten nicht die ideale Gelegenheit damit anzufangen? Mit dem Zuhören und Reden darüber, was der andere denkt, warum er zweifelt und woran er glaubt.