Bauhelfer um das Jahr 1950 im Einsatz am Weilerberg Foto: privat/Lojas Nemeth

Heimatforscher Wolfgang Härtel hält die Erinnerung an Reinhold Körber lebendig – der Bürgermeister hatte nach dem Krieg ein mutiges Programm gegen die Wohnungsnot in Waldenbuch durchgesetzt.

Waldenbuch - Schmucke Häuschen in schmalen Straßen, bürgerlicher Siedlungscharme mit Blick auf den Schönbuch – am Weilerberg in Waldenbuch vereint sich kleinstädtisches Leben mit bodenständiger Genügsamkeit. Das Wohngebiet auf der Anhöhe und die Stadt sind zusammengewachsen. Vor 70 Jahren sah das noch ganz anders aus. Die 3000-Seelen-Gemeinde musste nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 850 geflohene und vertriebene Menschen aufnehmen. Der damalige Bürgermeister Reinhold Körber reagierte mit einem mutigen Wohnbauprogramm und gab den bewaldeten Hang im Westen der Stadt als Siedlungsfläche für die Neubürger frei.

„Das war ein junger, entscheidungsfreudiger Mann, der viel bewegt hat, aber leider in Vergessenheit geraten ist“, sagt der Waldenbucher Heimatforscher Wolfgang Härtel. Er hat die Geschichte des Weilerbergs in den vergangenen drei Jahren aufgearbeitet und dabei viele interessante Details ausgegraben. In einer digitalen Dokumentation (www.alt-waldenbuch.de) erzählt er von Familien, die ihre Grundstücke mühselig von Hand rodeten und die Steine nach Feierabend aus den Steinbrüchen des Schönbuchs schlugen, um sparsam und zielstrebig eine neue Existenz aufzubauen.

Hobby-Historiker recherchierte

Die Geschichte von Theresia Czopf ist ein Teil des Mosaiks, das der Hobby-Historiker zusammengefügt hat. Ihre Familie gehörte zu den ersten, die sich 1948 um einen Bauplatz am Weilerberg bewarben. „Das war unsere Chance, um aus der drangvollen Enge der Notunterkünfte herauszukommen und etwas eigenes zu schaffen“, erzählt die 79-Jährige, die 1946 nach der Umsiedlung mit ihren Großeltern und Eltern in Waldenbuch gelandet war. 14 Tage lang war die Sechsjährige damals im Viehwaggon von Budapest nach Württemberg unterwegs. „50 Kilogramm Gepäck waren alles, was wir hatten“, erinnert sie sich. Auf der Pritsche eines Lastwagens ging es vom Sammellager dann nach Waldenbuch.

Die Neuankömmlinge benötigten Wohnraum. Doch der war Mangelware. „Die Menschen wurden zunächst ins Schloss, in die alte Turnhalle und die Gasthäuser einquartiert“, erzählt Wolfgang Härtel. Theresia Czopf und ihre Familie verbrachten die erste Zeit im Saal des Gasthofs Lamm. Später wurden sie in einem kleinen Zimmer bei einer Familie im Alten Weg einquartiert. „Wir schliefen zu dritt in einem Bett, das jede Nacht herunterbrach“, berichtet sie.

Prekäre Situation Ende 1948

Der 30-jährige Bürgermeister Reinhold Körber hat die prekäre Situation Ende des Jahres 1948 eindrucksvoll beschrieben: „Ich höre ab 8 Uhr morgens nichts anderes als die Bitte: Ich brauche eine Wohnung. Viel Enge, Gesundheitsgefahren und sittliche Gefährdung heranwachsender Kinder sind an der Tagesordnung.“ Der junge Rathauschef drängte auf eine schnelle Lösung. Auf seine Initiative hin sollten am Weilerberg 60 Bauplätze ausgewiesen werden. Unter dem Arbeitstitel Reinhold-Körber-Siedlung wurde das Projekt auf den Weg gebracht. Den Auftakt bildeten zwei städtische Musterhäuser mit je vier Wohnungen.

Die Vertriebenen und Geflüchteten packten gemeinsam an. „Die Menschen kannten sich zum Teil aus der alten Heimat“, erzählt Theresia Czopf. Man half sich gegenseitig aus. „Mein Vater war Lackierer, arbeitete bei Bosch und strich die Türen der Leute in der Siedlung“, berichtet die 79-Jährige. Es waren arbeitsreiche Jahre. Wer konnte, ging einem Beruf nach, um das Geld zusammenzubringen. Nach Feierabend dann wurde am Haus gebaut. Auch die katholische Kirche am Weilerberg errichteten die Vertriebenen aus eigener Kraft. Schon 1950 konnte das Gotteshaus eingeweiht werden.

Der neuen Heimat treu geblieben

Die Siedlung entwickelte sich weiter. Es gab den Kolonialwaren Wehr. In den 60er Jahren traf man sich im Forchenstüble. „Da stand eine Musikbox“, erinnert sich Theresia Czopf. Beim abendlichen Tanz lernte sie dort ihren späteren Ehemann kennen. Das Paar bezog ein Zimmer im Haus der Eltern. Später siedelten die Eheleute in einen Anbau um.

Theresia Czopf ist der neuen Heimat treu geblieben. Noch heute fühlt sie sich im Haus im Forchenweg geborgen. Neue Nachbarn sind hinzugekommen. Doch die Struktur, die Reinhold Körber der Siedlung gab, ist immer noch erkennbar. Seine couragierte Entscheidung, die dem Leben vieler Vertriebener eine positive Wendung gab, konnte der Schultes jedoch nicht mehr erleben. Er ist am 14. Dezember 1949 im Alter von nur 31 Jahren an Leukämie gestorben.