Der Prozess im Amtsgericht gegen Hausbesetzer war am Donnerstag von Protesten begleitet. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Sie kämpfen für ein Grundrecht Wohnen, wollen nach ihren Worten die Miethaie stoppen: Drei Hausbesetzer sind nun aber in Stuttgart verurteilt worden.

Stuttgart - Unterschiedlicher könnten die Welten nicht sein, die da am Mittwoch im Gerichtssaal aufeinanderprallen. Die 64-jährige Eigentümerin des Wohnhauses Wilhelm-Raabe-Straße 4 im Stuttgarter Süden hat nicht nur einen Anwalt als Begleiter in den Zeugenstand mitgebracht. Mit ihr kommen auch zwei in Sakkos gekleidete Bodyguards, die in den Zuhörerreihen Platz nehmen. „Ich gehe nur noch mit Sicherheitsleuten in dieses Haus“, sagt die Frau, die in London ihren Wohnsitz hat. „Wohnungsnot im ganzen Land, unsre Antwort: Widerstand“, wird sie von den Sympathisanten der drei angeklagten Besetzer begrüßt. Die Frau aber sagt: „Wir sind keine Investoren, wir sind keine Spekulanten.“ Wir, das seien noch ihr Ehemann und ihr Sohn.

Die Angeklagten aber sind Hausbesetzer. Am Mittwoch hat Amtsrichterin Julia Schmidt das Urteil über die Aktion in Heslach gesprochen. Am 28. April 2018 waren nach einer Demo des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen zwei leer stehende Wohnungen eines Fünf-Parteien-Hauses in der Wilhelm-Raabe-Straße besetzt worden. Eine junge dreiköpfige Familie im Erdgeschoss, eine alleinstehende Mutter im Dachgeschoss – bis nach einem Monat die Polizei räumte.

Wohnungsnot ist keine Begründung

Die 53-Jährige wird nun wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu zehn Euro verurteilt. Das 26 und 27 Jahre alte Paar zu 90 Tagessätzen zu zehn Euro. Die Amtsrichterin sieht es für erwiesen an, dass die drei Angeklagten die Wohnungen als Bleibe genutzt hatten – rechtswidrig. „Auch eine Wohnungsnot ändert daran nichts“, sagt sie.

Die 64-jährige Eigentümerin sieht sich überdies als das falsche Opfer. Man habe am 26. April 2018 erst die Schlüsselübergabe abgewickelt und auch an die übrigen Mieter weitervermieten wollen, sagt sie vor Gericht. Die Hausverwalterin habe den Auftrag gehabt, nach kleineren Renovierungen nach Mietern für die Erdgeschosswohnung zu suchen. Doch schon zwei Tage später sei es zu der Besetzung gekommen.

Maklerin wird zur Verwalterin

Was die neue Hausbesitzerin, bei deren Londoner Adresse es sich um den postalischen Sitz einer Managementberatungsfirma handelt, mit dem Haus wirklich vorhatte und vorhat, lässt sich am zweiten Tag des Gerichtsprozesses nur erahnen. Der Stuttgarter Immobilienverkäufer hatte damit geworben, dass sich Miete und Rentabilität durch geringe Modernisierungen „stark anheben“ ließen. Die Maklerin wurde nach dem Kauf im Februar 2018 für 1,23 Millionen Euro zur Hausverwalterin des Objekts – und hatte zwei Tage vor der Besetzung die Hausschlüssel für die Kundin aus London in Empfang genommen.

Doch hatte die Frau aus London überhaupt das Hausrecht? Der Anwalt der 53-jährigen Angeklagten jedenfalls forderte eine Einstellung des Verfahrens – weil die Eigentümerin zum Zeitpunkt der Besetzung formal noch gar nicht die Eigentümerin gewesen sei. Der Grundbucheintrag sei nämlich erst im August 2018 erfolgt. Ein Argument, dem die Amtsrichterin nicht folgte: „Über die Schlüssel, den Kaufvertrag und die Auflassung im März hatte sie ausreichend Besitz“, so Richterin Julia Schmidt. Und Besitzer hätten eben das Hausrecht.

Auch gegen die Besitzerin läuft ein Verfahren

Und was wird aus dem Haus an der Wilhelm-Raabe-Straße? Dort wird es erst einmal menschenleer. Die zwei letzten Mieterinnen haben ihre Kündigungen bekommen, es laufen noch zivilrechtliche Gerichtsverfahren. Vom Vorbesitzer war noch eine Abfindung angeboten worden, das läuft nicht mehr. Die einst besetzten Wohnungen seien mit Holzlatten und verschraubten Winkeln versiegelt, berichtet die letzte Mieterin im Zeugenstand.

Offensichtlich ist aber auch die Stadt von den Worten der 64-jährigen Frau aus London nicht mehr überzeugt. Nach den Worten der Staatsanwaltschaft läuft gegen die Hausbesitzerin mit den zwei Bodyguards ein Bußgeldverfahren wegen Wohnraumzweckentfremdung.