Gerlingen will die Wohnungsnot mit einer ungewöhnlichen Maßnahme bekämpfen. Foto: Werner Kuhnle

Die Stadt Gerlingen hat ein ungewöhnliches Projekt angestoßen: Sie setzt auf aufgeschlossene ältere Menschen, deren Eigenheim zu groß geworden ist. Eigentlich gibt es nur ein Bedingung, um an der Tauschbörse teilzunehmen.

Gerlingen - Im Kampf gegen die Wohnungsnot schlägt die Stadt Gerlingen (Kreis Ludwigsburg) jetzt einen ungewöhnlichen Weg ein: Sie startet eine Haus- und Wohnungstauschbörse. „Senioren mit großem Wohnraum und dem Wunsch nach einer kleinen Immobilie tauschen mit jungen Familien mit kleinem Wohnraum, die Bedarf für eine große Immobilie haben“, sagt Gabriella Loreck vom Amt für Familie und Senioren.

Damit wolle man aufgeschlossenen älteren Menschen Alternativen bieten und ihnen den Umzug erleichtern – und zugleich junge Wohnungssuchende unterstützen. Gabriella Loreck hofft, dass die Hemmschwelle mit der Stadt als „vertrauenswürdigem Partner“ sinkt. „Mit uns an der Hand hat man Sicherheit. Außerdem reduziert sich der Aufwand für Vermieter, die oft sehr viele Anfragen auf ihre Anzeigen bekommen“, meint Gabriella Loreck: Die Stadt sammelt nicht nur die Anfragen mittels eines Anmeldebogens, vergleicht sie und vermittelt bei einem Treffer – sie begleitet die Menschen auch beim Tausch ihrer vier Wände.

Gerlingen ist Vorreiter

Die Idee zur Tauschbörse entstand, weil sich immer mehr Senioren an das Rathaus wenden: Sie wollen sich verkleinern – etwa, weil sie in Hanglage wohnen, jedoch die Treppen nicht mehr schaffen –, finden allerdings keinen passenden Ersatz. Andere wollen zentraler leben, wieder andere sind überfordert und wissen nicht, wie sie bei der Wohnungssuche am besten vorgehen.

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„Parallel erhalten wir von Familien immer wieder Anfragen nach Bauplätzen“, sagt Gabriella Loreck. Statt sie zu vertrösten – oder zu riskieren, dass junge Menschen aus Gerlingen wegziehen –, wolle man künftig beide Seiten zusammenbringen. Getauscht werden könne Eigentum wie Mieteigentum. Die Bedingung: Wer Wohnraum sucht, müsse auch Wohnraum bieten, betont Gabriella Loreck.

Die Tauschbörse ist nach Einschätzung der Stadt im Landkreis Ludwigsburg und in der „weitläufigen“ Region „das einzige Projekt dieser Art“. Das Vorhaben sei daher eines mit „Beispielcharakter“. Doch auch andere Kommunen handeln.

Marbach zahlt Senioren eine Umzugsprämie: Sie erhalten 2500 Euro, wenn sie in eine kleinere Wohnung wechseln. Als die Stadt dies Anfang Februar beschloss, war das Modell bundesweit einzigartig. Der Mieterbund indes zeigte sich skeptisch: Das Problem seien die im Vergleich zu aktuellen Preisen deutlich geringeren Bestandsmieten, sagte der Landesvorsitzende Rolf Gaßmann. „Man zahlt auch in einer kleineren Wohnung in der Regel mehr als vorher.“

Senioren nicht aus Wohnungen „herauslocken“

Dazu kommt noch eine Hürde, wie in Marbach deutlich wurde: Der Eigentümer beziehungsweise Vermieter der jeweiligen Immobilie muss mitspielen. Aus dem Marbacher Rathaus ist zu erfahren, dass es bislang keinen erfolgreichen Antrag auf die Umzugsprämie vermelden könne. „Es gab bei der Stadt einige Anfragen von Senioren, allerdings konnten diese für deren Wohnungen keine Marbacher Familien finden, die dort einziehen wollten“, sagt der Bürgermeister Jan Trost (parteilos) unserer Zeitung.

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Aus Gabriella Lorecks Sicht müsse man den konkreten Fall betrachten. Und sie sagt auch: „Angesichts des Wohnungsmangels muss man andere, kreative Wege gehen. Ob das klappt, wissen wir nur, wenn wir es ausprobieren.“ Eine Prämie nach Marbacher Modell habe nie zur Debatte gestanden. „Wir wollen Senioren nicht aus ihren Wohnungen ‚herauslocken‘, um Wohnraum freizugeben. Vielmehr wollen wir als Stadt ein Angebot schaffen, das der vorhandenen Nachfrage nachkommt – eine Plattform für Angebot und Nachfrage“, sagt Loreck.

Kampf um städtische Wohnungen

Die Börse erweitert die schon laufenden Aktivitäten der Stadt im Rahmen des Landesprogramms „Raumteiler“: Gerlingen bringt Eigentümer von leer stehenden Immobilien mit Personen zusammen, die Wohnraum suchen. Die Resonanz ist geringer als erwartet: Von fünf Angeboten von Vermietern – zwei leer stehende plus drei frei werdende oder gewordene Wohnungen – prüft die Stadt momentan zwei Angebote. Eine Vermietung gab es laut Loreck noch nicht.

Für sie ist das aber kein Grund zum Lamentieren. „Das Projekt braucht Zeit, um in den Köpfen der Bürger anzukommen. Das Bewusstsein für solche Projekte – und deren Notwendigkeit – muss sich langsam entwickeln“, meint sie. Zurzeit sind bei der Stadt mehr als 100 Bewerber – sozial schwächere Personen – für eine städtische Wohnung registriert.