Viel mehr Schräglage geht nicht mehr: Ducati-Pilot Francesco Bagnaia vor Marco Bezzecchi und Alex Rins (v. re.) Foto: IMAGO//OEL CARRETT

Der Ducati-Pilot aus Turin kann in Sepang Moto-GP-Weltmeister werden und es Motorrad-Legende Giacomo Agostini gleichtun – obwohl Bagnaias Saison nicht planmäßig lief.

Man sollte auf Valentino Rossi hören, wenn man es als Motorradfahrer zu was bringen will. „Il dottore“ hat neun WM-Titel gesammelt, davon sechs in der MotoGP; wenn der 43-jährige Italiener also einen Ratschlag gibt, ist es so etwas wie eine heilige Pflicht, ihn zu befolgen. Francesco Bagnaia hat im August trotzdem nicht auf Valentino Rossi gehört beim MotoGP-Rennen in Spielberg. Er solle mit harten Reifen fahren, hatte der Altstar gemeint, Bagnaia schätzte die Bedingungen anders (und falsch!) ein, ließ weiche Pneus aufziehen – und wäre damit beinahe bitterböse auf die Nase gefallen. Nur mit hauchdünnem Vorsprung rettete der Italiener seinen zuvor komfortablen Vorsprung auf Fabio Quartararo ins Ziel. „Da wird er mir sicherlich noch etwas zu sagen haben“, meinte Bagnaia danach, doch was sein Mentor Rossi ihm mitgab, blieb ein Geheimnis.

Keines ist, dass Francesco „Pecco“ Bagnaia mit seinen 25 Jahren längst selber groß ist und zu den Stars der MotoGP zählt – an diesem Sonntag (9 Uhr/Servus-TV) kann der Turiner in Sepang beim Großen Preis von Malaysia den noch amtierenden Champion Fabio Quartararo entthronen. „Ich bin im Moment recht ruhig“, versicherte der WM-Primus, „ich weiß, dass unser Potenzial groß sein kann. Wenn wir so weiterarbeiten, wie wir es in der gesamten zweiten Saisonhälfte gemacht haben, können wir einen richtig guten Job machen.“ 91 Zähler hatte Bagnaia zur Mitte der Saison Rückstand auf den Franzosen Quartararo und die WM-Spitze, sein selbst verschuldeter Sturz auf dem Sachsenring Mitte Juni war der Tiefpunkt des Jahres, den er mit dem Verzehr von zwei Wiener Würstchen im Pressezentrum und den Worten „ich habe heute ja auch viele Kalorien verbrannt“ selbstironisch verarbeitete.

Doch seine Aufholjagd nach dem Deutschland-Rennen mit vier MotoGP-Siegen in Folge (was von italienischen Piloten lediglich Legende Rossi gelungen ist), untermauert den Reifeprozess des Ducati-Werkfahrers. Zumindest auf der Rennstrecke. Abseits davon ist Pecco Bagnaia gelegentlich für Eskapaden gut, wie in diesem Sommer auf Ibiza, wo er mit seinem Auto von der Straße abgekommen und mit der Vorderachse in den Graben gepoltert war – mit einem Alkoholgehalt im Blut von 0,87 Promille; erlaubt sind in Spanien nur 0,25. „Es tut mir leid. Ich trinke praktisch nie. Es war eine ernsthafte Sorglosigkeit, die nicht hätte passieren sollen. Ich möchte mich entschuldigen und kann garantieren, dass ich meine Lektion gelernt habe“, entschuldigte er sich via Twitter. Sein Team ließ die Geschichte auf sich beruhen, auch der MotoGP-Promoter und Motorrad-Weltverband FIM sahen von Sanktionen ab. Der Moto2-Weltmeister von 2018 kam mit einer Geldstrafe im mittleren dreistelligen Eurobereich davon.

Die Krönung für Bagnaia wäre auch für Arbeitgeber Ducati ein Meilenstein. Der Motorradhersteller aus Bologna, der zum Volkswagen-Konzern gehört, hat einen ausgedehnten Leidensweg hinter sich – seit 15 Jahren wartet der Werkrennstall trotz mehrerer Anläufe auf einen Fahrertitel – dabei hatten die Italiener Zweirad-Koryphäen wie Valentino Rossi, Nicky Hayden, Jorge Lorenzo und Andrea Dovizioso unter Vertrag. Sie alle scheiterten – Bagnaias Landsmann Dovizioso wurde immerhin 2017, 2018 und 2019 Vizeweltmeister. Der Australier Casey Stoner war bislang der letzte Duc-Pilot, der es zu WM-Ehren brachte. Das war allerdings auch schon vor 15 Jahren. Bagnaias Auftrag lautete von Anfang an, wieder den Titel zu holen, Ducati hatte dafür kräftig investiert und einen neuen Motor gebaut.

Nun können ihm die Konkurrenten Quartararo und Aleix Espargaro sowie Enea Bastianini, der mit 42 Punkten Rückstand nur Außenseiterchancen besitzt, natürlich noch in die fast angerichtete Hochzeitssuppe spucken. Doch so recht glauben sie nicht mehr daran. „Ich weiß, dass viele Ducati um Pecco herumschwirren und ihn gut beschützen werden“, sagte Pol Espargaro, der jüngere Bruder von Aleix, „Sepang ist ein geeigneter Platz für den Titelgewinn von Ducati.“

Es würde nicht nur für Bagnaia ein Traum in Erfüllung gehen. Ein italienischer Fahrer triumphiert in der MotoGP-WM auf einem italienischen Motorrad – zuletzt ist das Rekordweltmeister Giacomo Agostini mit einer MV Agusta gelungen, das war vor 50 Jahren und Bagnaia nicht geboren. Sollte der Ducati-Mann als Champion vom Podium grüßen, würden die Tifosi seinen Namen ohne Zögern hinter den Motorradlegenden Rossi (43) und Agostini (80) einordnen. Dann müsste sich Pecco Bagnaia nicht verteidigen, wenn er mal einen Ratschlag missachtet.