Serbische Fußballanhänger zünden Feuerwerkskörper Foto: 7aktuell.de/ Gruber

Nach dem WM-Aus der serbischen Mannschaft in Russland ist die Situation eskaliert. Die Polizei kesselte eine Gruppe Randalierer ein, Feuerwerkskörper wurden gezündet und mindestens 15 Personen festgenommen.

Stuttgart - Das Café MP in der Lautenschlagerstraße ist der Hotspot der Fans der serbischen Mannschaft. Hunderte verfolgen hier am Mittwochabend beim Public Viewing auf der Café-Terrasse das WM-Spiel ihres Teams gegen die Mannschaft Brasiliens. Ein Meer von Menschen, das sich bis in den für den Autoverkehr gesperrten Straßenraum zieht. Ein Meer in den panslawischen Farben Weiß-Blau-Rot, denn fast alle tragen die einschlägigen Trikots, haben eine Nationalflagge über den Schultern, und einige wenige schwenken auch größere Fahnen.

Lange ist alles wie bei jedem anderen Public Viewing, bei dem Fans einer Mannschaft als große homogene Gruppe zusammenkommen: Jede Wendung auf dem Spielfeld weckt kollektive Emotionen. Raunen, Schreien, Kreischen, Beifall, rhythmische Anfeuerungsrufe: „Srbija!“ Anders ist allerdings die massive Polizeipräsenz. In einigem Abstand noch in der Straße selbst, nahe schon in der direkt am Platz abgehenden Thouretstraße, wo zur Halbzeit die linke Straßenseite voll ist mit Mannschaftswagen der Polizei. Am Eckpunkt steht eine Handvoll Beamter. Schon bald werden es entschieden mehr sein.

Krawalle schon nach der Niederlage gegen die Schweiz

Noch aber herrscht fröhliche Fußballstimmung. Und Zuversicht: „Unsere Mannschaft kommt da noch rein. Wir tanzen Samba mit Brasilien!“, glaubt Djordje, 19, obwohl seine Mannschaft zurückliegt. Srbija-Rufe als Anfeuerung und dazwischen immer wieder ein Refrain, den Natascha, 22, so übersetzt: „Wer sagt denn da, dass Serbien klein ist?“ Das sei „ganz normaler Nationalstolz. Denn wir sind stark! Zusammen mit der Mannschaft!“ Um zu unterstreichen, dass das nur das eigene Gefühl und das der Großgruppe heben soll und sich gegen niemand anderen richte, führt sie ein „balkanisches Sprichwort“ an: „Voli svoje, poštuj tudje“, was schlicht heiße: „Liebe das Deine und achte das Fremde.“ Sie sei hier bei einem „friedlichen Fan-Fest, wie alle anderen auch!“

Eine Selbsttäuschung vielleicht? Drei, vier Mal tönt ein „Costa Rica!“ dazwischen, Anfeuerung für den Gegner der Schweiz im Parallel-Spiel. Gegen die Schweiz hatte Serbien verloren. Danach hatte es Krawalle gegeben, auch vor dem Café MP, denn in der Schweizer Mannschaft sind Spieler, die aus dem Kosovo stammen. Die hatten die Serben beim Torjubel provoziert: mit nationalistischer Symbolik. Jetzt geht das Gerücht um, „dass Albaner kommen werden, um uns zu provozieren“, wie ein junger Mann sagt. Man habe „noch eine Rechnung offen“: „Wir haben gegen drei Länder gespielt. Gegen die Schweiz, gegen Albanien und gegen Deutschland!“ Gegen Letzteres wegen des deutschen Schiedsrichters.

Mit dem Schlusspfiff ist die Niederlage der serbischen Elf besiegelt. Trotzdem schallende „Srbija!“-Chöre. Ausdruck von Stolz, denn die eigene Mannschaft habe stark gespielt. Milan aus Leonberg, frisch das Einser-Abi in der Tasche, will noch ein Bier trinken und dann heimfahren. Und Vanja beweist Witz: „Jetzt sollen die deutschen Fans kommen, dann können wir gemeinsam trauern und Party machen!“

Doch Knall auf Fall kippt die Stimmung. Mitten auf der Straße ein Pulk mit entzündeter Pyrotechnik. Im Zentrum eine armdicke Rauchfackel, um die herum wilde Tänze stattfinden. Auch ein paar Vermummte sind darunter. Von dort wird ein rotflammendes Bengalo auf das Einsatzfahrzeug mit Kamera geworfen. Es prallt auf die Motorhaube, gleitet über die Frontscheibe und bleibt an der Mauer zum Treppenaufgang links in der Thouretstraße liegen und glüht zu Ende. Direkt danach setzt das Dutzend Polizisten auf der gegenüber liegenden Straßenseite die Helme auf und lässt das Visier herunter.

Mindestens 15 Personen verhaftet

Nun geht es Schlag auf Schlag. Von verschiedenen Seiten dringt plötzlich Polizei vor und schließt in Windeseile einen Ring um die Gruppierung, kesselt sie ein. Von innen drängt ein Teil gegen den Ring der Polizisten, der sich inzwischen verdoppelt hat. Außen Polizisten, die die Umgebung im Blick haben. Aus dem Pulk von geschätzt 50 Eingekesselten dringen lauthals Gesänge und Parolen. Und nun findet sich niemand mehr, der übersetzen will. Im Weglaufen klärt ein Mittdreißiger auf: „Das ist das Amselfeld-Lied.“ Und: „Faschisten-Gesänge, gegen die Albaner.“ Eine junge Frau, 17, schreit dazwischen: „Wir Serben werden immer schlecht gemacht. Aber wir sind die Opfer!“ Und dann schreibt auf und übersetzt Juresic doch, was da aus dem Pulk im Polizei-Ring dröhnt: „Srbiju nesme nike stasnuti: Niemand soll Serbien unterdrücken!“ Andere kommen hinzu, schleudern nicht zitierfähige Hetz-Fetzen: „Schreiben Sie das auf! Machen Sie das in die Zeitung!“

Mitten in der Stuttgarter City tobt also ein virulenter historischer Erinnerungskrieg, mit Versatzstücken aus dem Kampf um die „serbische Nation“: Die Schlacht auf dem Amselfeld (1389), der National-Mythos der Serben, die nie anerkannte Abspaltung des Kosovo infolge des Jugoslawienkrieges der 1990er Jahre, ein schlichter WM-Kick als „Krieg gegen drei Länder“. Ein giftiges nationalistisches Amalgam kocht hoch.

Um 22.30 Uhr gibt Frank Kreuels, der Polizeieinsatzleiter vor Ort, einen Zwischenbericht: „Eine größere Gruppe hat Pyros gezündet und andere Menschen gefährdet. Deshalb haben wir zugegriffen. Beim Zugriff wurden mindestens 15 Personen verhaftet. Jetzt holen wir jeden Einzelnen raus, videografieren und erfassen die Personalien. Die Lage hat sich entspannt, wir haben alles im Griff.“ Dann fügt er hinzu: „Wir haben sehr gute Video-Aufnahme, sodass wir das im Nachgang entsprechend bearbeiten können.“