Robert Lewandowski am Boden: Den Makel der WM-Blamage nimmt der Pole nach dem Urlaub mit zu seinem Arbeitgeber FC Bayern. Foto: AP

Nach dem WM-Aus kritisiert Robert Lewandowski sein Team scharf, aber auch der Kapitän der polnischen Nationalmannschaft muss sich hinterfragen. Er spielt ein enttäuschendes Turnier, was auch dem FC Bayern zu denken geben wird.

Moskau - Als die Schmach in der schwülen Sommernacht am Kasanka-Ufer besiegelt war, kratzte sich Robert Lewandowski kurz an der Schläfe. Dann schlenderte der Kapitän der Nationalmannschaft Polens vorsichtig in Richtung Tortribüne der Kasan-Arena, um pflichtschuldig Applaus zu klatschen. Nur hatten sich die Reihen der eigenen Anhängerschaft schon auffällig gelichtet. Kurz darauf kam zur Umarmung sein Clubkollege vom FC Bayern, James Rodriguez, der ihm die Show gestohlen hatte: Während James mit seinen Kolumbianern beim 3:0-Sieg eine bemerkenswerte Vorstellung abgeliefert hatte, blieb die Darbietung von Lewandowski und seinen Polen so blass wie die Gesichter ihrer Fans.

„Ich fühle erst einmal Bitterkeit, Wut und Ohnmacht. Wir waren nicht in der Lage, etwas entgegenzusetzen. So ist die Situation im polnischen Fußball“, sagte der 29-Jährige später. „Ich denke, dass viele Dinge bei dieser WM nicht funktioniert haben. Wir haben gekämpft, aber das alleine reicht bei einer WM nicht.“ Trainer Adam Nawalka sah sich gar mit der These konfrontiert, Polen hätte auf der WM-Bühne so wenig zu suchen wie Saudi-Arabien.

Wahrnehmungsprobleme bei Lewandowski

Erstaunlich war, wie hart Lewandowski bei seinen Ausführungen in einem fast viertelstündigen Vortrag gegenüber polnischen Medien irgendwann auch die Mitspieler anging. „Aus nichts kann ich nichts machen. Es gibt keinen Spieler auf der Welt, der den Ball erobert, fünf Gegner und den Torwart ausspielt und dann ein Tor schießt.“ Doch schon seine Feststellung, er hätte „keine Torchance“ gehabt und wäre wütend auf sich gewesen, „wenn ich Chancen vergeben hätte“, entlarvte ein Wahrnehmungsproblem beim prominentesten polnischen Kicker: Zweimal parierte nämlich Kolumbiens Keeper David Ospina. Am nächsten Tag bekräftigte Lewandowski im WM-Quartier in Sotschi seine Kritik: „Man konnte einen Klassenunterschied sehen.“

Entsprechend die Resonanz in der Heimat: „Blamage! Schwächlinge!“ titelte das Boulevardblatt „Fakt“. Der spät eingewechselte Abwehrchef Kamil Glik gab zu: „Wir hatten vielleicht eine Gelegenheit in zwei Spielen. Das war’s.“ Das Versagen gegen Senegal (1:2) und Kolumbien erfasste alle Mannschaftsteile: angefangen vom zu flatterhaften Torwart Wojciech Szczesny bis zum nicht funktionierenden Torjäger. Nach der Auslosung hatte Lewandowski noch einen Tweet in Richtung James abgesetzt, den sein Arbeitgeber bereitwillig über seine Social-Media-Kanäle verbreitete. „Hallo James, mein Freund. Ich erinnere mich an deine tollen Tore während der letzten WM. Ich hoffe, du wirst meine aus Russland in Erinnerung behalten.“

James stiehlt dem Clubkollegen die Schau

Es ist allerdings nun etwas anders gekommen. Kolumbiens Nummer zehn kam im direkten Duell auf zwei Torschüsse, zwei Torvorlagen, 87 Ballkontakte, eine 88-prozentige Passquote und starke 62 Prozent gewonnene Zweikämpfe. Bei zwei Weltmeisterschaften hat James sechs Tore erzielt und vier Vorlagen gegeben. Das ist unbestritten Weltklasse. Über dieses Prädikat wird man bei Lewandowski nun wieder streiten. Ist der Pole am Ende nämlich gar kein Weltklassestürmer? Er selbst sieht sich bekanntlich als Weltstar mit entsprechenden Ansprüchen.

Zwar gab Polens Nummer neun immerhin fünf der neun polnischen Torschüsse ab, aber 58 Ballkontakte, eine nur 71-prozentige Passquote und 46 Prozent gewonnene Zweikämpfe belegten auch zahlenmäßig die Unterlegenheit. Hinzu kam ein interessanter Aspekt, der sich in den von den Fifa veröffentlichten Spielerprofilen zur Laufleistung verbarg: Während James 10,59 Kilometer rannte und davon 1094 Meter in den höheren (Sprint)-Geschwindigkeiten zurücklegte, waren es bei Lewandowski bei 10,16 Kilometer nur 763 Meter. Da hatte einer definitiv zu wenig getan.

Schwache WM macht möglichen Verkauf nicht leichter

Und so schleppt der Angreifer den Makel einer WM-Blamage auch zu seinem Arbeitgeber, wenn er nach dem letzten Gruppenspiel gegen Japan in den Urlaub geht und dann nach München zurückkehrt. Die Clubführung muss abwägen, ob bei einem Wechselwunsch des bald 30 Jahre alten Torgaranten (257 Bundesligaspiele/ 180 Tore) die Möglichkeit zur Blutauffrischung ergriffen werden soll.

Lewandowski hat mit dem israelischen Strippenzieher Pini Zahavi bekanntlich nur für diesen Sommer einen der renommiertesten Agenten beauftragt, der ihn womöglich einen Ausstieg aus seinem bis 2021 laufenden Vertrag ermöglicht. Die Abwägung über einen Lewandowski-Verkauf ist mit den WM-Eindrücken nicht einfacher geworden. Schon das Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid hatte die Debatte überlagert, ob ihr Mittelstürmer in großen Spielen den Unterschied macht. Gegenargumente hat der Mann in den russischen Stadien nicht gesammelt. Im Gegenteil.