Was als Komödie beginnt, wandelt sich zur Schreckensvision – Szene aus Ionescos „Die Nashörner“ an der WLB. Foto: Patrick Pfeiffer

Absurdes Theater at its best: Auf der Bühne in der WLB gibt’s zum Saisonstar Wunderbares zu erleben: Ein Schauspieler verwandelt sich in ein Nashorn, und Ionescos Parabel über Konformismus, Opportunismus und Massenhysterie erweist sich als erschreckend aktuell.

Esslingen - Ich kapituliere nicht!“ Das sind die Schlussworte Behringers, des letzten Menschen. Dann wird er nackt – Ecce homo – in einer Vitrine hochgezogen und von einer Partygesellschaft in Abendkleid und Smoking bestaunt. Die Württembergische Landesbühne zeigt Ionescos „Die Nashörner“. Wüsste man es nicht besser, könnte man es für ein Stück von heute halten. Es bedarf keiner Aktualisierung, und das Ensemble unter der Regie von Markus Bartl überbietet sich selbst: Ein großer Theaterabend als Saisonauftakt.

Die Unzufriedenheit mit den erstarrten Konventionen des Theaters ist keine Erfindung der Gegenwart. Vor mehr als einem halben Jahrhundert gab es einen Erneuerungsversuch, das Theater des Absurden, neben Samuel Beckett ist Eugène Ionesco sein prominentester Vertreter. Sein Dreiakter „Die Nashörner“ ist eine Parabel und gerade so absurd wie der „Sommernachtstraum“, in dem sich Zettel in einen Esel verwandelt. Jedes Element dieses Gleichnisses lässt sich in Alltagserfahrung übersetzen, nichts daran ist absurd. Das heißt freilich nicht, dass die Aussage der „Nashörner“ eindeutig sei. In welcher historisch verbürgten Gesellschaft diese Parabel über Konformismus, Opportunismus und Massenhysterie anzusiedeln sei, beschäftigt die Interpreten seit der Uraufführung 1959, vierzehn Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und sechs Jahre nach Stalins Tod, und die Antworten, die sie liefern, verdanken sich weniger dem Text als den Voreinstellungen der Deuter. Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters.

Aktuelle Schreckensvision

Was als Komödie beginnt, wandelt sich in den knapp zwei Stunden der pausenlosen Inszenierung zu einer bedrohlichen Schreckensvision. Scharnier zwischen den Teilen ist die Verwandlung eines Mannes mit dem Allerweltsnamen Hans in ein Nashorn. Diese Transformation findet – ein schauspielerisches Kabinettstück – ausschließlich mittels der Stimme statt. Nach und nach finden die Figuren Argumente für ihre allmähliche Anpassung an die Normen der Nashörner. „Der Logiker“, die Karikatur eines Intellektuellen, erklärt: „Man muss mit der Zeit gehen.“

Reinhold Ohngemach verkörpert den Hans, zunächst misslaunig knurrend, dann zunehmend, aber ohne Forcierung, nashörnisch, Oliver Moumouris gewinnt als sein Gegenspieler durch seine sich zum Widerstand steigernde Lauterkeit Sympathie. Schon in der Exposition, in der das Spektrum der typisierten Figuren, an der Rampe vor einer breiten Treppe aufgereiht, ein satirisches Bild der bürgerlichen Gesellschaft entwirft, erzeugt Bartl durch Tempo und musikalische Sprachregie einen Sog, der bruchlos anhält, wenn die ersten Nashörner – von den Bühnenfiguren, nicht vom Publikum – gesichtet werden. Die Zuschauer sehen von den Viechern nur den Staub, den sie aufwirbeln. Behringer kapituliert nicht. Und wir?

Nächste Aufführungen am 26.9, 16. und 26.10.