Mancher Lokalpolitiker findet es „peinlich“ Foto:  

Ein EU-Förderprogramm und neue Regeln erleichtern den Weg ins frei flottierende Internet. Viele prominente Orten der Stadt sind bereits mit Hotspots ausgestattet. Doch abseits der Stuttgarter Stadtmitte steht man rasch im digitalen Nirwana.

Innenstadt - Ein Millionenprogramm für 8000 kostenlose öffentliche Internet-Zugänge hat das Europaparlament im vergangenen September gebilligt. Auf Plätzen, in Krankenhäusern oder Büchereien in ganz Europa sollen Hotspots eingerichtet werden. Die Nutzer melden sich einmal an und können überall online gehen. 120 Millionen Euro liegen dafür bereit. Gemeinden und öffentliche Einrichtungen müssen sich lediglich darum bewerben. Verteilt wird nach dem Windhund-Prinzip. Das klingt nach einer tollen Chance auch für die Landeshauptstadt, in der Internet-Surfer im öffentlichen Bereichen häufig auf dem Trockenen sitzen – anders übrigens als in vergleichbar großen Städten im benachbarten Ausland.

WLAN können wir selber!

Aber Stuttgart hat sich nicht um einen der EU-Hotspots beworben. Der Grund: „Das Wifi4EU-Programm richtet sich in erster Linie nur an kleine und strukturschwache Kommunen, die bisher kein WLAN in und an Zentren zur Verfügung stellen“, heißt es bei der Landeshauptstadt. Dabei weist das Land durchaus Strukturschwäche auf: Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung hat jüngst ermittelt, dass Deutschland beim Ausbau von zukunftsfähigen Glasfaseranschlüssen im OECD-Vergleich auf Platz 28 von 32 liegt. Aber es geht ja nicht um die Geschwindigkeit, sondern darum, überhaupt eine WLAN-Infraktruktur anzubieten. „Die Stuttgarter Innenstadt verfügt bereits über kostenloses öffentliches WLAN an wichtigen zentralen Plätzen und Flächen: Das WiFi-Netz ist auf dem Marktplatz und an der Tourist Information i-Punkt an der Königstraße 1a, schräg gegenüber vom Hauptbahnhof am Ausgang der Klettpassage, sowie am Schlossplatz und Schillerplatz verfügbar“, so die Auskunft von Pressesprecher Martin Thronberens. Das kostenlose Wifi-Netz nennt sich „Unitymedia Wifi“, und die Stadt verspricht, dass es „kostenlos, stabil, sicher, mit hoher Datenbandbreite und unbegrenzter Nutzungsdauer“ sei.

Bereits 2015 hat die Landeshauptstadt 30 Hotspots eingerichtete. Stuttgarts Erster Bürgermeister Michael Föll lobte damals, das sei „das Beste, was es derzeit in der Republik gibt“. Allerdings profitieren die Leute am Marien-, am Ostend- oder beispielsweise am Bismarckplatz nicht davon. Allerdings gibt es in der Stadt zahllose private Hotspots, die etwa von Gastronomen, Hotels, Geschäftsinhabern, Einkaufszentren oder Bildungseinrichtungen betrieben werden und öffentlich nutzbar sind. Sie können die Lücke partiell füllen.

Offline in Schlummerland

Voraussetzung dafür, dass neben kommunalen nun mehr private Betreiber öffentliche WLAN-Netze einrichten, war das Dritte Telemedienänderungsgesetz. Denn bis zum Sommer vergangenen Jahres galt hierzulande die WLAN-Störerhaftung, ein weltweit einmaliges deutsches Rechtskonstrukt: Wer anderen einen freien Internetzugang bot, konnte haftbar gemacht werde, wenn ein Nutzer die Leitung für illegale Aktivitäten missbrauchte. Anbieter mussten Unterlassungsforderungen und Abmahnungen befürchten. Das war ein lukratives Geschäft für eigens spezialisierte Anwaltskanzleien. Damit ist nun Schluss. Zudem besagt das neue Gesetz, dass Anbieter nicht mehr dazu verpflichtet sind, ihr WLAN mit einem Passwort zu schützen oder Nutzer zu registrieren.

In der Vergangenheit hatten diese Hemmnisse dazu geführt, dass es in Deutschland deutlich weniger freie Internetzugänge gab als in anderen Ländern. Im Ausland wurde Deutschland schon mal als digitales Entwicklungsland belächelt. Juristisch ist nun der Weg frei für die digitale Aufforstung des Landes. Jetzt fehlt’s nur noch an Tempo.