Varroa-Milbe, Pestizide und Mangelernährung könnten am rätselhaften Bienentod schuld sein.

Stuttgart - Es steht schlecht um die Honigbiene. Seit Jahren kommt es in fast jedem Winter zum weltweiten Massensterben. Wissenschaftler und Imker rätseln, was den Tod der Tiere verursacht.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Bienenvölker über die Wintermonate schrumpfen. Im Frühjahr wird der Bestand durch die Königin aufgefrischt, die bis zu 2000 Eier pro Tag in die Brutzellen des Stocks legt. "Ein Bienenvolk ist eine unsterbliche Einheit, ein Superorganismus, der sich immer wieder erneuert, indem kranke, alte Tiere den Stock verlassen und neue geboren werden", sagt Jürgen Tautz. Der 61-Jährige ist seit 1990 Biologieprofessor in Würzburg. Spezialgebiet: Bienenforschung. Seit wenigen Jahren ist die Welt der Bienen aus den Fugen geraten. Seit der Jahrtausendwende kommt es in immer kürzeren Abständen zum mysteriösen Massensterben. "Wir Bienenforscher schwimmen komplett, ein undurchdringlicher Nebel. Ich bin nicht sehr optimistisch, was die mittelfristige Zukunft angeht."

Weltweit sind Imker seit Jahren mit einem traurigen Ritual vertraut: Wenn sie im Frühjahr eine Bestandsaufnahme ihrer Völker machen, stellen sie nicht selten einen Verlust von bis zu 30 Prozent fest. Das Massensterben begann in Deutschland 2002/ 2003. 2005/2006 und 2009/2010 folgten weitere Schübe. "Es ist ungewöhnlich gegenüber früheren Jahrzehnten, dass die Schlagfolge deutlich zugenommen hat. Früher gab es alle 15, 20 Jahre ein großes Bienensterben", sagt der Leiter des Laves-Instituts für Bienenkunde in Celle, Werner von der Ohe.

Die Verlustrate ist regional unterschiedlich. Laut Deutschem Imkerbund (DIB) lag sie 2009/2010 in Hamburg bei 6,5 Prozent, im Bezirk Stuttgart bei 11,6 Prozent, im Bezirk Freiburg bei 28,5 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass im Schnitt seit 2000 rund 20 bis 25 Prozent aller Völker verloren gegangen sind", erklärt Helmut Horn, Agrarbiologe an der Landesanstalt für Bienenkunde der Universität Hohenheim. "Mal sind es 15, mal 30 Prozent. Früher hatten wir solche Völkerverluste nicht."

In der EU ist das Massensterben seit Mitte der 1990er Jahre bekannt. Der Bienentod bringt große wirtschaftliche Verluste mit sich. Bienen und andere Bestäuber bringen nach DIB-Angaben für die Landwirtschaft in der EU jährlich rund 22 Milliarden Euro ein. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) schätzt, dass 80 Prozent aller Pflanzen von Insekten bestäubt werden. "Ohne Biene geht gar nichts", betont Tautz. Im Extremfall würden 30 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion wegfallen. "Die Ärmsten der Armen blieben auf der Strecke." Düstere Aussichten. Doch was weiß man über die Ursachen?

Die häufigsten Ursachen

Colony Collapse Disorder: US-Forscher haben dem Bienensterben den Namen Colony Collapse Disorder (CCD - Völkerkollaps) gegeben. Nach dem Winter fehlt ein Großteil der erwachsenen Tiere im Stock. Auch in der näheren Umgebung sind keine toten Bienen zu finden. Nur die Königin, Brut und Jungbienen, die von Parasiten, Pilzen und Viren befallen sind, befinden sich im Stock.

Varroa-Milbe: 1977 wurde die Varroa-Milbe (Varroa destructor) nach Europa eingeschleppt. Der 1,6 Millimeter große Parasit hat sich zum Hauptfeind der Honigbiene entwickelt. Die Milbe beißt sich bei ihr fest und saugt sie aus. Vor allem Larven sind von den Attacken betroffen. Von der Ohe: "Der Hauptfaktor für das Massensterben der Bienenvölker ist die Varroa-Milbe. Es scheint, dass sie immer aggressiver wird." Varroa-Milben machen offenbar einen Zyklus durch, was die Intervalle beim Bienensterben erklären würde. Nach Wintern, in denen es große Verluste gab, bricht die Population der Milbe ein.

Viren und Pilze: Als weitere Faktoren kommen Viren und Pilze in Frage. Sie dringen in die Darmepithelzellen der Bienen ein und zersetzen deren Eingeweide. Die von Bieneninstituten untersuchten Völker zeigen neben einem starken Varroa-Befall auch virale Sekundärerkrankungen. Offensichtlich haben die Mikroben leichtes Spiel, wenn das Immunsystem geschwächt ist.

Mangelernährung: Für von der Ohe ist die schlechte Ernährungsgrundlage mitentscheidend. Proteine und Vitamine, die über Blütenpollen aufgenommen werden, tragen zur Robustheit der Bienen bei. Der Mangel an pollen- und nektarliefernden Trachten, transgene Pflanzen und einseitige Ernährung führen zum Umwelt- und Ernährungsstress, der die Tiere schwächt. Manfred Hederer, Präsident des Deutschen Berufs- und Erwerbs-Imkerbundes: "Die Bienen haben nichts mehr zu fressen. Und das, was sie haben, ist zu einseitig."

Pestizide: Der Wirkstoff Clothianidin gehört zur Gruppe der Neonicotinoide, einem Pestizid, das als Kontakt- und Fressgift wirkt. Laut Hederer sind diese Mittel, die von Bayer Crop-Science vermarktet werden, "für Bienen 500- bis 700-mal giftiger als DDT". Rund 30000 Tonnen Pestizide werden in Deutschland jährlich auf Äcker und Obstplantagen gespritzt. Der BUND resümiert: "Die Hinweise verdichten sich, dass der Einsatz hochwirksamer und bienengefährlicher Neonicotinoide eine entscheidende Rolle in dieser katastrophalen Entwicklung spielt." Hederer, der 4500 Berufsimker vertritt, fordert ein Verbot der Gifte. "Jedesmal wenn ein neuer Wirkstoff kam, ging die Anzahl der Bienenvölker zurück. Neonicotinoide kommen überall vor. Die Belastung der Umwelt wird immer größer."