Am Freitag beginnt wieder das Riesenfestival Rock am Ring Foto: dpa

Für Festivalfans hat die schönste Zeit des Jahres begonnen. Publikumsrenner wie Rock am Ring und das weltgrößte Heavy-Metal-Treffen Wacken sind regelmäßig ausverkauft und lukrative Marken für die Veranstalter geworden.

Stuttgart - Manchmal beginnt die Recherche am eigenen Küchentisch. „Einfach großartig war das, Papa“, schwärmt meine Tochter Lisa. „Perfekt organisiert, tolle Bands, faire Preise – da muss ich unbedingt wieder hin.“ Die 20-Jährige liebt Gothic- und Alternative-Bands und erinnert sich begeistert an vorigen Sommer, als sie sich zum M’era-Luna-Festival nach Hildesheim aufmachte.

Mit dem Fernbus billig hin und zurück, Zelt und Schlafsack huckepack, Camping im Festival-Ticket für 89 Euro inklusive, ebenso Dutzende Bands und Lesungen – für zwei Tage Feiern und Abrocken kein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis. „Dazu alles friedlich, nette Leute, Riesenstimmung“, sagt sie. „Und saubere Toiletten, kaum Warteschlangen, eine tolle Festival-App fürs Handy mit Infos zu allen Bands und Zeitplänen. Jeder Camper bekam sogar Müllsäcke und fünf Euro zurück, wenn man seinen Platz sauber verlassen hat.“

Die Premiere von Rock am Ring war nicht nur cool

Ältere Semester haben Rockfestivals anders in Erinnerung. Zum Beispiel die Premiere von Rock am Ring Mitte der 80er Jahre. Zwei Tage Hitzesommer, 49 Mark Eintritt, 17 Bands, nur eine Bühne. Ewige Umbaupausen, endloses Gedränge auf betonhartem Rennstrecken-Asphalt. 75 000 halb nackte, qualmende und nicht immer gut riechende Fans. Dazu täglich zehn Stunden volle Dröhnung, lausiger Sound, Bierleichen, Kreislaufkollapse, Notfalleinsätze, versiffte Waschräume und Toiletten, endlose Warteschlangen. Man hat schon Schöneres erlebt.

Kein Vergleich zu heute. „Die Festivalbranche hat sich extrem professionalisiert“, sagt Jens Michow – und dieser Mann sollte es wissen. Seit mehr als 30 Jahren leitet der Hamburger Rechtsanwalt den Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft (BDV), den er einst selbst gründete. Schon mit 24 Jahren startete der gebürtige Lübecker Anfang der 70er Jahre seine erste Künstleragentur, die seinerzeit Stars wie Fats Domino betreute und voriges Jahr von Helene Fischers Management übernommen wurde.

Wacken im Jahr 1990: Der Eintritt lag bei sechs Euro

Michow selbst holte mit 38 Jahren sein Staatsexamen nach und berät seither weltweit Künstler und Veranstalter in Zivilrechts- und Steuerangelegenheiten, ist zudem Dozent für Recht an der Hochschule für Musik und Theater in München. „Ein gutes Open-Air-Festival ist heute ein Gesamtkunstwerk“, sagt er. „Es bietet perfekte Unterhaltung, die Künstler und das Rahmenprogramm passen zur Zielgruppe, man hat solide kalkuliert, es gibt ein gutes Crowdmanagement und optimale Licht- und Tontechnik, Service und Sicherheitsvorkehrungen funktionieren einwandfrei.“

Sein Paradebeispiel: Wacken, mit mehr als 85 000 Besuchern das größte Metal-Festival der Welt. Im Jahr 1990 veranstalteten der Discjockey Holger Hübner und der Musiker Thomas Jensen in einer Kiesgrube ihres kleinen Heimatorts in Schleswig-Holstein das erste zweitägige Festival mit sechs regionalen Bands und 800 Gästen. Der Eintritt: sechs Euro. Wer 26 Jahre später am ersten August-Wochenende in Wacken mitfeiern will, musste 180 Euro hinblättern und schnell sein. 75 000 Karten waren schon vorigen Sommer in knapp 24 Stunden ausverkauft. Das Festival, liebevoll dokumentiert im preisgekrönten Film „Full Metal Village“, hat echten Kultstatus und riesige Dimensionen erreicht: 220 Hektar Fläche, gesichert mit 40 Kilometer Bauzaun, acht Bühnen und 158 Bands im vorigen Jahr.

Das Woodstock-Festival war zwar legendär – aber desaströs organisiert

Wacken hat geschafft, was wenigen Festivals so erfolgreich gelingt: selbst zur Marke zu werden“, sagt Michow. Die Marke ist das Erfolgsrezept. Wenn ein Festivalname etabliert ist, lässt sich mit Merchandising, Sponsoren und Partnern richtig Geld machen. Es gibt Wacken-T-Shirts, Wacken-Bier, Wacken-DVDs, zusätzliche Wacken-Festivals und sogar Wacken-Kreuzfahrten oder Wacken-Skireisen.

Nicht jeder mag diese Kommerzialisierung, doch so läuft das Geschäft. Und die Konkurrenz schläft nicht. Immer neue Festivals schießen aus dem Boden, viele sind vom Start weg hoch professionell gemacht, ganz anders als einst das legendäre, aber desaströs organisierte Woodstock-Festival.

„Die Zeiten, wo ein paar Laien ohne Geld und Ahnung auf einer Wiese einfach mal eine Bühne aufstellten und ein paar Bands spielen ließen, sind vorbei“, sagt Michow. Ohne Vorauszahlung nahezu des vollen Honorars ist kaum noch ein zugkräftiger Künstler zu gewinnen. Große Stars gebe es außerdem oft nur noch im Paket mit unbekannteren Bands, die deren Agentur ebenfalls bekannt machen will. „Da haben die Veranstalter kaum eine Wahl, Künstler und Agenturen sitzen am längeren Hebel.“

Wenn der Vorverkauf gut lief, ist schlechtes Wetter egal

Die großen Zugnummern wie in diesem Sommer Whitesnake (beim Wacken), die Red Hot Chili Peppers (Rock am Ring), Die Fantastischen Vier (Chiemsee-Summer) oder Kings of Leon (Lollapalooza Berlin) nimmt natürlich jedes Festival mit Kusshand. „Ein Top-Headliner ist das A und O“, sagt Michow. Wenn dann auch noch die restliche Mischung im Programm stimmt, sinkt das Flop-Risiko enorm. Denn wenn der Vorverkauf gut gelaufen ist, kann auch schlechtes Wetter die Kalkulation kaum noch umwerfen.

Der schnelle Euro ist mit Festivals dennoch meist nicht zu machen. „Eine gute Marke aufzubauen braucht Zeit und Durchhaltevermögen“, sagt Michow. Dann aber winken sehr lukrative Geschäfte. Ein Beispiel: Marek Lieberberg, seit 1970 aktiv. Mit Rock am Ring schaffte es der schillernde Impresario auch nach dem erzwungenen Umzug vom Nürburgring auf den Flugplatz Mendig bei Koblenz voriges Jahr auf Anhieb, mit mehr als 90 000 Besuchern einen neuen Rekord zu landen. Von Freitag an findet Rock am Ring zum zweiten Mal in Mendig statt. Trotz Ticketpreisen von 170 Euro ist das Festival schon seit Februar ausverkauft. Nur für das zeitgleiche Zwillingsevent Rock im Park in Nürnberg gibt es noch ein paar Tausend Karten.

Milliardenumsätze mit Rock- und Popkonzerten

Umsatz
: Für Pop- und Rockkonzerte sowie Festivals wurden im Jahr 2014 in Deutschland rund 1,6 Milliarden Euro ausgegeben – deutlich mehr als für Musik-CDs und andere Tonträger. Laut der Branchenstudie „Musikwirtschaft in Deutschland“ gibt es mehr als 1300 Veranstalter, aber nur drei Dutzend machen mehr als 10 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Knapp drei Viertel der Einnahmen stammen aus dem Ticketverkauf.

Tickets
: Zwei Drittel der Tickets für Rockfestivals wurden im Jahr 2013 über das Internet gekauft, mittlerweile dürften es noch mehr sein. Der Durchschnittspreis lag bei knapp 66 Euro inklusive Camping. Dance- und Techno-Festivals waren mit knapp 45 Euro deutlich günstiger, Hip-Hop- und Reggae-Festivals mit 36 Euro ebenso. Im Vergleich zu Einzelkonzerten internationaler Rockstars, die laut Statistik 48 Euro kosteten, sind Festivals aber trotz kräftig anziehender Preise noch ein recht preiswertes Vergnügen.

Milliardenumsätze mit Rock- und Popkonzerten


http://www.stuttgarter-zeitung.de/thema/Southside_Festival " title=" " class="system-pagebreak">