Der Prozess um die Skandalfirma Wirecard dauert an. Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Eine Ex-Mitarbeiterin des Skandalunternehmens gibt Einblicke in die höchst merkwürdige Compliance-Struktur von Wirecard.

Die Compliance-Abteilung eines Konzerns wacht darüber, dass keine Rechte gebrochen und Gesetze befolgt werden. Aus wem die Compliance-Abteilung bei Wirecard bestand, will Richter Markus Födisch von der Zeugin im Münchner Betrugsprozess um die 2020 kollabierte Skandalfirma wissen. „Das war ich als einzige Vollzeitmitarbeiterin“, sagt die 41-jährige. Sie ist die erste Zeugin, die im Fall vor dem Landgericht München aussagt.

Für einen früheren Dax-Konzern ist das ein dürftiges Personaltableau. Was Zeugin Christine A. dann erzählt, erklärt die spartanische Besetzung aber recht gut. Einmal sei es um das Rechtsgutachten einer Anwaltskanzlei gegangen, dem die Wirecard-Compliance 2018 zuarbeiten sollte. Schon damals sollte die Frage geklärt werden, ob im Asien-Geschäft Umsätze frei erfunden und Konzernbilanzen gefälscht wurden. Sie habe sich an die Arbeit gemacht, erzählt die 41-jährige. „Dann hat Jan gesagt, er macht es selber und ich war raus“, erklärt sie. Jan heißt mit Nachnamen Marsalek und ist der heute flüchtige sowie damals für das Asien-Geschäft zuständige Wirecard-Vorstand. Vor Gericht stehen der frühere Wirecard-Chef Markus Braun, der Kronzeuge Oliver Bellenhaus und der ehemalige Chefbuchhalter Stefan E.

Die Zeugin sagt, sie habe protestiert

Sie habe intern damals dagegen protestiert, dass Marsalek für die Kanzlei alle nötigen Informationen besorgt, sagt Christine A. Denn der sei qua Vorstandsamt für das zu prüfende Geschäft zuständig gewesen. „Wenn derjenige, um den es geht, die Untersuchung leitet, kann er machen, was er will“, sagt die Rechtsexpertin noch heute empört. Das damalige Resultat des Rechtsgutachtens gibt ihr recht. Es hatte Wirecard eine weiße Weste bescheinigt, was falsch war, wie man heute weiß. Bei der Wirecard-Pleite im Juni 2020 fehlten 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten. Dieses Geld hat es wohl nie gegeben.

Gleiches gilt für dahinterstehende Geschäfte über Drittpartner in Asien, was auf dem Papier lange ganz anders aussah. „Das Drittpartner-Geschäft war das eigentliche Standbein“, weiß die Zeugin. Ohne es hätte Wirecard ab 2017 defizitär gewirtschaftet. Nach der Pleite habe sie dem Insolvenzverwalter zugearbeitet, um die Existenz von Geschäft nachzuprüfen. Nicht eine einzige Email zwischen Wirecard und den Händlern, die Drittpartner angeblich vermittelt haben, sei aufgetaucht. Auch nach der Pleite habe sich keiner gemeldet, obwohl mit Wirecard ihr Zahlungsdienstleister über Nacht weg war und betroffene Händler dann nicht mehr bezahlt worden wären. Das sind schlagende Indizien für die These, dass es weder das Drittpartnergeschäft noch die Treuhand-Milliarden je gegeben hat.

Ex-Chef Braun beteuert seine Unschuld

Sie bestätigten Vorwürfe von Staatsanwälten und Aussagen des Kronzeugen Bellenhaus. Braun als Hauptbeschuldigter behauptet dagegen, Geschäft und Geld habe es gegeben. Die Milliarden seien vielmehr von einer Bande um Marsalek und Bellenhaus geraubt worden. Kurz vor der Pleite habe sie im Rahmen einer Sonderprüfung bei der Kreditkartenfirma Visa um Verifizierung von Transaktionsdaten angeblicher Wirecard-Händler gebeten, sagt die Zeugin. „Sie konnten nicht bestätigt werden“, stellt sie klar. Zuvor habe sie bisweilen ein ungutes Gefühl beschlichen, wenn ihre Mahnungen zu guter Unternehmensführung wieder einmal verpufft waren oder sie intern kaltgestellt wurde. „Aber als dann klar wurde, dass es die Geschäfte gar nicht gab, war es für jeden ein Schock“, beschreibt die Zeugin die Tage um die Pleite herum. Dass so vieles nur Erfunden war, habe sie sich bis zuletzt nicht vorstellen können. „Man geht jeden Tag in die Arbeit und denkt, das ist ein Unternehmen.“