Willi Balz (re.) muss sich vor Gericht verantworten. Foto: dpa

Nicht erst das Windreich-Verfahren hat gezeigt, dass die Justiz wegen all der Groß- und Massenverfahren an ihre Grenzen kommt. Doch die Rechtsprechung gehört zum innersten Kern der staatlichen Pflichtaufgaben, meint StN-Autor Klaus Köster.

Stuttgart - Mehr als sechs Jahre ist es her, dass das einstige Vorzeige-Windkraftunternehmen Windreich pleite ging – doch erst jetzt beginnt der Strafprozess. Und Windreich ist keine Ausnahme: Über Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking schwebte einst sieben Jahre lang das Damoklesschwert einer Haftstrafe, ehe er sichtlich gezeichnet freigesprochen wurde. Auch beim Verfahren um die Schlecker-Pleite, das mit Verurteilungen endete, verstrichen zwischen der Insolvenz und der Rechtskraft der Entscheidung fast sechs Jahre.

Langes Verfahren als Strafe

Die Frage ist jedoch, welche Dauer mit dem Recht auf ein faires Verfahren noch vereinbar ist. Denn bereits ein schwebender Prozess ist für die Betroffenen eine schwere Belastung, die einer Strafe gleichkommt, die niemand verhängt hat. Im Zivilrecht erleben derzeit viele Dieselfahrer, die sich getäuscht sehen, wie lange die Justizbehörden brauchen, um dem Recht Geltung zu verschaffen.

Dabei ist die Frage, wann Windreich-Gründer und Ex-Chef Willi Balz hätte Insolvenzantrag stellen müssen, in der Tat hoch komplex. Es wird nicht nur darum gehen, wann die Finanzprobleme hätten offengelegt werden müssen, sondern auch darum, ob und wann der Firmenchef, der das Unternehmen stark auf sich zugeschnitten hat, die Lage tatsächlich erkannte. In einer Justiz, bei der sich Großverfahren wie das um Windreich und Massenverfahren rund um Dieselskandal und Lkw-Kartelle derart ballen wie in Stuttgart, gelangt die Justiz zunehmend an ihre Grenzen. Die Durchsetzung des Rechts jedoch gehört jedoch zum innersten Kern der staatlichen Pflichtaufgaben. An diesen sollte zu allerletzt gespart werden.

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