Das Seniorengefängnis in Singen ist speziell auf die Bedürfnisse älterer Strafgefangener ausgerichtet. Doch bei ihrer Entlassung stehen auch sie vor besonderen Herausforderungen. Foto: dpa/Patrick Seeger

Ein ehemaliger Strafgefangener auf Zimmer drei? Für viele Pflegeheime erstmal undenkbar. Gerade Inhaftierte über 60 stellt das vor Probleme. Deshalb unterstützt ein Projekt Menschen, die nach ihrer Zeit im Gefängnis nicht mehr alleine leben können – und liefert jetzt erste Ergebnisse.

Stuttgart - Wer aus dem Gefängnis entlassen wird, findet seinen Weg zurück in die Gesellschaft oft nur schwer: Stigmatisierung, individuelle Altlasten und das Gefühl der Isolation sind da nur einige potenzielle Stolpersteine. Gerade ältere Gefangene stehen zudem vor strukturellen Problemen.

„Vor zwei Jahren sind wir noch davon ausgegangen, dass rund ein Fünftel der älteren Strafgefangenen nach Haftende betreuungsbedürftig ist“, sagt Achim Brauneisen, Sprecher des Netzwerks Strafgefangene in Baden-Württemberg am Freitag in Stuttgart. „Inzwischen glauben wir, dass es weit mehr sind.“ Mit dem demografischen Wandel steigt auch die Zahl der Gefangenen über 60 Jahre in Baden-Württemberg: In den letzten 20 Jahren hat sie sich mehr als verdoppelt, aktuell sitzen im Land fast 300 ältere Menschen im Gefängnis. Vor diesem Hintergrund hat der Verein „Projekt Chance“ bereits 2018 ein Konzept entwickelt, das Inhaftierten, die nach ihrer Entlassung nicht mehr ohne fremde Hilfe leben können, den Wiedereinstieg in die Gesellschaft erleichtern soll.

Rund 3750 Euro kostet die Betreuung eines Strafgefangenen

Das Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg, das das Konzept konkret umsetzt, hat daraufhin fünf Koordinationsstellen eingerichtet. Dort beschäftigt man sich seither konkret mit jenen Menschen, die für das Projekt infrage kommen. Wie genau diese Hilfe aussieht, ist in vielen Fällen unterschiedlich. Gleich bleibt immer, dass jeder sowohl beim Übergang in die Freiheit als auch im Anschluss individuell begleitet werden soll.

80 Strafgefangene wurden in den letzten 22 Monaten auf diese Weise betreut. 45 von ihnen sind heute in Freiheit, gut drei Viertel davon in angemessenen Pflegeeinrichtungen. Genau in diesem Punkt sieht Johannes Weißer von der Koordinierungsstelle Fortis jedoch eine der größten Hürden: Um ehemalige Strafgefangene zum Beispiel an Pflegeheime zu vermitteln, müsse man oft persönlich mit den Einrichtungen sprechen.

Und diese individuelle Betreuung kostet: Rund 3750 Euro gibt das Netzwerk pro Fall aus. Finanziert haben das bisher die beiden Hauptsponsoren, die Baden-Württemberg-Stiftung und die Lechler-Stiftung. Ab 2021 soll der Etat aus Fraktionsmitteln kommen, kündigt Justizminister Guido Wolf an. Das solle gewährleisten, dass das Angebot Bestand habe.