Der Bürgermeister Marius Hick, der Regierungspräsident Wolfgang Reimer und der Staatssekretär Steffen Bilger (von rechts) haben mit den Bundestagsabgeordneten Volker Münz (Vierter von rechts), Hermann Färber (links) und Heike Baehrens (Dritte von links) sowie den Landtagsabgeordneten Sascha Binder (Zweiter von links), Heinrich Fiechtner und Nicole Razavi (Vierter und Fünfte von links) die neue Straße freigegeben Foto: Horst Rudel

Während Kuchen jetzt erst mal Flüsterasphalt auf der alten B10 bekommt, können sich die Gingener schon über die neue Ortsumfahrung freuen.

Gingen - Am meisten nerven die Lastwagen. Die hören wir in der Nacht schon von Weitem, wenn die mit so einem Dong, Dong über jeden Gullydeckel rattern“, beschreibt eine Frau aus Gingen den Alltag in ihrem Haus, das direkt an der Bundesstraße 10 liegt. „Ich freue mich wirklich arg über die neue Umgehung“, fügt sie hinzu, doch zum Baustellenfest ziehe es sie nicht. Dafür haben sich viele andere auf den Weg zum Festzelt an der neuen Trasse gemacht, wo Gingens Bürgermeister Marius Hick (CDU) seit Stunden mit Feuerwehrleuten und vielen anderen Helfern die langersehnte Freigabe des neuen B-10-Abschnitts vorbereitet hat.

Gut angelegte 28 Millionen Euro

Als Hick endlich alle Redner auf der Bühne begrüßen kann, gießt es wie aus Kübeln. „Ich habe noch keine Verkehrsfreigabe ohne Regen erlebt“, tröstet der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Steffen Bilger (CDU). Er kürzt seine Rede ab, vergisst aber nicht, die Bedeutung der Verkehrsachse als Voraussetzung für den Wohlstand in Kreis und Land zu loben. „Die 28 Millionen Euro sind gut investiertes Geld und werden zu weniger Lärm und Abgas in Gingen führen“, ergänzt er mit Blick auf die 2,7 Kilometer neue Straße. Auf dem satt glänzenden neuen Asphalt dürfen an diesem Tag aber einzig die Festgäste fahren. Erst einen Tag später rollt dann der allgemeine Verkehr.

Ob die Belastung im Ort tatsächlich um 70 Prozent abnehmen wird, wie es der Bundestagsabgeordnete aus Ludwigsburg ankündigt, wird sich weisen. Die Kundinnen, die sich beim Bäcker in der Ortsmitte über die Blechlawine mit bis zu 30 000 Fahrzeugen pro Tag unterhalten, sind noch skeptisch: „Ob die Straße viel bringt, wissen wir noch gar nicht. Da reden wir in einem Jahr noch mal drüber.“

Eine junge Familie macht dagegen schon Pläne. Ihr Bauernhaus an der alten Bundesstraße, die nun in Gingen zur Landesstraße herabgestuft werden wird, wollen sie weiter ausbauen, denn für den Nachwuchs brauchen sie dringend ein Kinderzimmer. Ja, auch sie seien von Lärm und Gestank betroffen, versichern sie. Doch da die Wohnung im zweiten Stock liege, sei es auszuhalten. Wenn es ihr Budget hergebe, würden sie das Haus gern neu streichen.

Die Häuser sind von den Abgasen geschwärzt

So wie fast alle Gebäude an der Ortsdurchfahrt sei auch die Fassade ihres Hauses von den Abgasen geschwärzt. Das sei früher anders gewesen, denn als die Großmutter noch gelebt habe, habe diese den Putz abgewaschen – alle zwei Jahre.

Auch Marius Hick träumt von einem schönen Ortskern. Zusammen mit dem Gemeinderat hat er ein Ortsentwicklungskonzept erdacht. Jetzt nutzt er die Gelegenheit, sich beim ebenfalls angereisten Regierungspräsidenten Wolfgang Reimer (Grüne) für eine Zusage über 800 000 Euro Förderung zu bedanken. „Wir können erst zufrieden sein, wenn die B 10 hinter Geislingen angekommen ist“, ruft Hick noch kampferprobt ins Mikrofon, bevor er es an Kollege Bernd Rößner (parteilos) aus dem benachbarten Kuchen weitergibt.

Es fehlen noch 8,3 Kilometer Straße bis hinter Geislingen

Rößner wird künftig als Sprecher der B-10-Bürgermeister im Kreis auftreten und mit dem Geislinger Oberbürgermeister Frank Dehmer (parteilos) für den Weiterbau bis Geislingen-Ost in einem Rutsch kämpfen. Eine Planung dafür aus einem Guss hatte Andreas Hollatz, der zuständige Abteilungsdirektor Straßenwesen und Verkehr im Stuttgarter Regierungspräsidium, jüngst bereits in Geislingen versprochen. Zum Fest in Gingen hat er Steffen Bilger 22 Aktenordner mitgebracht. Sobald dort der grüne Haken des Bundesverkehrsministeriums prange, solle es mit der Planfeststellung in seiner Behörde losgehen.

Nur noch 8,3 Kilometer Umgehungsstraße fehlen, um auch die Bewohner von Kuchen und Geislingen von der Blechlawine zu entlasten. Doch die letzten Kilometer haben es in sich: Drei Brücken und zwei Tunnels treiben die Kosten auf 223 Millionen Euro. Doch dank voller Kassen beim Bund könnte die „Lebensader im Kreis Göppingen“ in zehn Jahren fix und fertig sein, rechnet der Landrat Edgar Wolff (Freie Wähler) vor. Die Straße sei bisher immerhin mit einer Geschwindigkeit von einem Kilometer pro Jahr vorangetrieben worden.

„Kuchen bleibt jetzt das letzte Nadelöhr“, klagt derweil ein Rentner. Anders als in Gingen, wo man über den Grünenberg zum oberen Filstal hin ausweichen könne, gebe es hier keine Schleichwege. „Morgens und am Feierabend muss man auf der B 10 mindestens eine halbe Stunde Zeit im Stau einplanen“, erklärt der Kuchener, dessen Wohnhaus nur 50 Meter entfernt von der vorgesehenen Trasse im Seetal liegt.

Kuchen bekommt jetzt erst mal Flüsterasphalt

Als betroffener Anwohner geißelt er die Trassenführung als „komplette Fehlplanung“. Gar nicht einverstanden zeigt er sich außerdem mit dem Flüsterasphalt, den die Kuchener Ortsdurchfahrt in diesem August bekommen wird, das sei doch rausgeschmissenes Geld, grummelt der Mann.

Viel Beifall heimsen dagegen die Gingener Grundschüler ein, die den Freudentag für ihren Ort mit einem Lied verschönern und darin die neue B 10 für das ganze Filstal fordern – das gefällt auch ihrem Bürgermeister Marius Hick.