In Paris sind wieder Zehntausende Menschen gegen die geplante Rentenreform auf die Straße gegangen. Foto: AFP/Alain Jocard

Die Auseinandersetzung um die geplante Rentenreform verschärft sich – An landesweiten Demonstrationen beteiligen sich Zehntausende Menschen

Paris - Anne Berger hat noch nie in ihrem Leben gestreikt. Seit über 30 Jahren ist sie Lehrerin in einer Schule in einem Vorort von Paris, doch nun steht sie auf dem Place de la République und skandiert „Macron Demission“ – Macron Rücktritt! Es ist der 36 Streiktag in Frankreich und zum vierten Mal haben die Gewerkschaften zu Großkundgebungen aufgerufen. Auch in Nantes, Toulouse, Bordeaux und Marseille sind am Donnerstag Zehntausende auf die Straßen gegangen. Ihr Ziel ist es, die geplante Rentenreform des Präsidenten Emmanuel Macron zu verhindern.

Ein Flickenteppich aus 42 Systemen

Der Staatschef will den Flickenteppich von 42 verschiedenen Rentensystemen beseitigen. Geplant ist ein einheitliches Punktesystem ähnlich wie in Deutschland. Zudem will Macron das Milliarden-Defizit der Rentenkassen abbauen. Was die Menschen besonders ärgert ist allerdings, dass das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden soll. Die Regierung hat angesichts des Widerstandes auf der Straße bereits erste Abstriche gemacht. So sind Polizisten und Feuerwehrleute von der Reform ausgenommen. Auch Krankenhausmitarbeiter und Piloten sollen früher in Rente gehen können. Zudem ist eine Anhebung der Grundrente auf rund tausend Euro geplant.

Dennoch gehen die Franzosen auf die Straße, denn den Menschen geht es bei ihrem Protest längst nicht mehr nur um die Rente. „Mich betrifft die Reform gar nicht mehr“, sagt die Lehrerin Anne Berger, doch wie viele ihrer Mitstreiter ist sie wütend über die allgemeinen Arbeitsbedingungen. Trotz vieler Versprechungen der Politik wird die Lage nicht besser – im Gegenteil. An allen Ecken und Enden werde immer weiter gekürzt und gespart. Aus diesem Grund sind auch am Donnerstag wieder Feuerwehrleute, Rettungskräfte, Polizisten oder Krankenhauspersonal auf der Straße. Ein protestierender Arzt zeigt auf eine kleine Gruppe neben ihm. „Das ist unsere Abteilung im Krankenhaus, hier stehen mindestens 1000 Überstunden,“ sagt er.

Emmanuel Macron als Sonnenkönig

Was viele Franzosen zudem auf die Barrikaden treibt, ist die scheinbare Rücksichtslosigkeit, mit der die Regierung die Reform umsetzen will. Präsident Macron wird auf Bildern im Protestzug immer wieder als Sonnenkönig dargestellt, der nach Gutdünken über seine Untertanen verfügt. Aus diesem Grund gelingt es den Gewerkschaften immer wieder, die Franzosen zu mobilisieren. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes CGT, Philippe Martinez, warf der Regierung am Donnerstag eine „provokante Haltung“ vor. Die CGT und mehrere andere Gewerkschaften fordern einen vollständigen Rückzug der Reformpläne.

Gleichzeitig versucht die Regierung mit ihren Zugeständnissen die moderateren Vertreter der Arbeitnehmervertretungen auf ihre Seite zu ziehen. So sagt Laurent Berger, Chef des größten Gewerkschaftsbundes CFDT, dass man noch „weit entfernt von einer Einigung“ sei. Er sieht aber ein „Zeichen der Öffnung“ aufseiten der Politik.

Viele der Protestierenden am Donnerstag in Paris befürchten mit zunehmender Protestdauer eine Spaltung der Gewerkschaften, die von der Regierung gezielt vorangetrieben werde. Trotz der massiven Proteste im ganzen Land ist will das Kabinett am 24. Januar über die Rentenpläne abstimmen, die Nationalversammlung soll ab dem 17. Februar über die Reform beraten und vielleicht schon im März darüber beschließen.