Oppositionsführer Vitali Klitschko hat seine Kandidatur für die Präsidentenwahl im Mai erklärt. Foto: dpa

Die neue ukrainische Führung gerät mit den Reformen ins Stocken. Noch immer gibt es keine Interimsregierung. Doch erst dann verspricht der Westen dringend benötigtes Geld. Ex-Boxweltmeister Klitschko will Staatschef werden.

Die neue ukrainische Führung gerät mit den Reformen ins Stocken. Noch immer gibt es keine Interimsregierung. Doch erst dann verspricht der Westen dringend benötigtes Geld. Ex-Boxweltmeister Klitschko will Staatschef werden.

Kiew - Nach dem Umsturz in der Ukraine sind die neuen Machthaber zerstritten: Trotz eines drohenden Staatsbankrottes haben sich die bisherigen Oppositionsgruppen weiter auf keine Übergangsregierung einigen können. Das Parlament verschob eine für Dienstag geplante Abstimmung auf diesen Donnerstag. Die neuen Kräfte in der Führung stritten vor allem darüber, welches Mitspracherecht die Aktivisten vom Kiewer Unabhängigkeitsplatz (Maidan) bekommen sollen. Oppositionspolitiker Vitali Klitschko bekräftigte, dass er neuer Staatschef der Ex-Sowjetrepublik werden will.

Die Partei der früheren Regierungschefin Julia Timoschenko forderte am Dienstag erneut, Anführer der Straßenproteste in die künftige Regierung einzubinden. Die Maidan-Bewegung legte ihrerseits Bedingungen fest. „Jedes Kabinettsmitglied benötigt die Zustimmung des Maidan“, hieß es in einer Erklärung an die Agentur Interfax.

So dürften die 100 reichsten Ukrainer keine Regierungsposten erhalten, betonten die Aktivisten. Notwendig seien auch mindestens sieben Jahre Berufserfahrung. Mitglieder der bisherigen Regierung und der Präsidialkanzlei sollten keine Ämter erhalten.

Die Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen und zuständigen Komitees arbeiteten Tag und Nacht, sagte Übergangspräsident Alexander Turtschinow. Er forderte, spätestens Donnerstag müsse ein „Kabinett des nationalen Vertrauens“ stehen. Arseni Jazenjuk von Timoschenkos Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) kündigte an, es werde keine Hinterzimmerabsprachen geben. Der Ex-Außenminister gilt selbst als Kandidat.

Drei Monate vor der für den 25. Mai geplanten Präsidentenwahl in der Ukraine begann die Registrierung der Kandidaten. Ex-Boxweltmeister Klitschko will antreten. „Ich bin völlig überzeugt davon, dass in der Ukraine die Spielregeln geändert werden müssen“, sagte er. Es müsse Gerechtigkeit herrschen. „Ich weiß, dass dies möglich ist.“ Trotz der Kandidatur ist weiterhin denkbar, dass Klitschko auch einen Ministerposten in einer künftigen Übergangsregierung übernimmt.

Auch Timoschenko, die mal mit und mal ohne ihren folkloristischen Haarkranz auftritt, hatte direkt nach ihrer Haftentlassung eine Bewerbung für das Präsidentenamt angekündigt.

Ukraine braucht mehr Geld als angenommen

Weiterhin war unklar, wo sich der gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch aufhält. Zuletzt soll der mit Haftbefehl Gesuchte auf der prorussisch geprägten Halbinsel Krim gesehen worden sein. Gegen ihn wird wegen „Massenmordes“ ermittelt. Er soll tödliche Schüsse auf Regierungsgegner in Auftrag gegeben haben. Das Parlament beschloss, den 63-Jährigen im Falle einer Festnahme an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überstellen. Insgesamt waren bei Protesten in Kiew mindestens 82 Menschen getötet worden.

Die nahezu bankrotte Ukraine braucht offenbar noch weit mehr Geld als bislang gedacht. Die von Turtschinow genannten 35 Milliarden US-Dollar (25,5, Milliarden Euro) reichten kaum bis Jahresende, sagte Jazenjuk.

Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sprach sich dafür aus, das Vermögen der ehemaligen Führung um den gestürzten Präsidenten zu beschlagnahmen.

Finanzhilfen waren auch Thema bei Gesprächen der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Kiew. Sie knüpfte Unterstützung an Bedingungen. So müsse zunächst eine Übergangsregierung gebildet werden. Notwendig sei auch ein mit internationalen Organisationen abgesprochener Wirtschaftsplan. Hilfreich sei eine Kombination von kurzfristigen Krediten und langfristigen Investitionen.

Auch Deutschland forderte Zusagen. „Voraussetzung für Hilfen ist politische Stabilität und eine Übergangsregierung, mit der man verbindlich einen Hilfs- und Stabilisierungsplan entwickeln kann“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, „Handelsblatt online“. EU-Währungskommissar Olli Rehn unterstützte die Idee einer Geberkonferenz.

Russland äußerte sich angesichts des Einflusses rechtsextremer Kräfte „tief besorgt“ über die Zukunft des Nachbarn. Um die Ukraine wieder auf den Weg der Rechtstaatlichkeit zu bringen, müsse die Gewalt aufhören und der Dialog zur nationalen Versöhnung beginnen, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau.

In Brüssel rief EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso Russland zur Zusammenarbeit auf, „um eine vereinte Ukraine zu garantieren, die ein Faktor für Stabilität auf dem europäischen Kontinent sein kann“.