Marine Le Pen hat den Front National in vielen Gesellschaftsschichten salonfähig gemacht Foto: AFP

Im Elsass stößt der Front National seit Jahren auf große Zustimmung – obwohl die Region multikulturell geprägt ist und von offenen Grenzen besonders profitiert. Der Politologe Richard Kleinschmager erklärt, woher die Einstellung in der Nachbarregion rührt.

Stuttgart - Marine Le Pen war im Elsass mit 25,6 Prozent die Kandidatin mit den meisten Stimmen im ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl. Für wen entscheiden sich die Elsässer nun in der Stichwahl an diesem Sonntag? Für Le Pen oder den parteilosen Emmanuel Macron? Der Politologe Richard Kleinschmager von der Universität Straßburg erklärt, warum sich Le Pens Front National in der Grenzregion seit Jahren auf einen treuen Wählerstamm verlassen kann.

Herr Kleinschmager, aus deutscher Sicht ist es schwer nachvollziehbar, wie es zu so viel Zuspruch für den Front National kommt in einer Region, deren wirtschaftliche Zukunft, deren Wohlstand nicht zuletzt von offenen Grenzen, von guten Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen mit Europa abhängen.
Es ist richtig, seit 1995 liegt der Front National bei Wahlen hier immer wieder vorne. 2007 hat allerdings Nicolas Sarkozy diese Spitzenstellung eingenommen. Auch 2012, als letztlich Hollande gewonnen hat, gaben die Elsässer Sarkozy den Vorzug. Die Gründe? Sarkozy hat mit seinen Themen und seinem Auftreten einem Bedürfnis nach Autorität entsprochen. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre stammten alle elsässischen Abgeordneten aus dem gaullistischen Lager. Seit Mitte der 1970er Jahre der Zentralismus mit Valéry Giscard d‘Estaing an Einfluss gewinnt, strukturieren Gaullismus und Zentralismus das politische Leben im Elsass. Diese zentralistische Tradition bindet zudem ein konservatives katholisches Milieu. Ein Teil dieser Wähler identifizierte sich schon immer mit einem eher autoritären Weltbild. Sie fanden dies in der starken Führungspersönlichkeit von De Gaulles. Ein Teil dieser Wähler hat sich deshalb auch sehr schnell wieder von den Ideen des Front National angezogen gefühlt.
Gaullist und rechtsextrem sein – das ist doch ein Widerspruch.
Aber das Votum für den Front National ist höchst zwiespältig. Zum einen gibt es soziale Gründe – 35 Prozent der Arbeiter stimmen für Le Pen – zum anderen identitäre. Der Front National sät Ängste vor Migranten. Erstaunlicherweise fruchtet das auch im Elsass, wo  doch ein beachtlicher Teil der hiesigen Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat.
Letztlich ist es dem Front National aber nicht gelungen, Abgeordnetenmandate für sich zu sichern.
Bei Départementswahlen, also eher lokalen Wahlen oder Parlamentswahlen, schaffte es der Front nicht, über die Stichwahl hinaus tatsächlich Mandate zu erringen. Vor allem fehlt es an Leuten, die sich zu ihm bekennen und die lokal vernetzt sind.
Und das nach so langer Zeit?
Das ist nach wie vor so. Vielleicht wird sich das ändern. Bislang gibt es aber keinen echten lokalen oder regionalen „Leader“. Jemand wie Florian Philippot, Vizepräsident des Front National, reüssiert vielleicht bei den Regionalwahlen Grand Est. Von den Elsässern wird er jedoch nicht als ihr Mann wahrgenommen.
Dennoch hat sich der Front National in die Mitte der Gesellschaft bewegt. Ist es damit zu erklären, dass es 2017 keine Massendemonstrationen gegen Le Pen gegeben hat? Ende der 1980er gingen Zehntausende in Straßburg gegen ihn auf die Straße, ebenso 2002, als Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl einzog.
Der Tochter Marine Le Pen ist es extrem gut gelungen, sich im Zentrum der politischen Debatte zu positionieren. Trotzdem ist das schon unglaublich zu einem Zeitpunkt, da Europa zwar Anfeindungen ausgesetzt ist, tatsächlich die Integration jedoch nie stärker fortgeschritten war.
Wird sich die Wahlentscheidung der Elsässer wiederum vom nationalen Ergebnis abheben?
Ich halte ein starkes Votum im Elsass für Macron für möglich. Sehen Sie, im ersten Durchgang entscheiden sich die Franzosen für ihren Favoriten. In der Stichwahl eliminiert man. Die Frage lautet also: Will eine Mehrheit der Elsässer lieber Macron statt Le Pen eliminieren? Das halte ich für unwahrscheinlich.