Wahlwerbung der Parteien für die Europawahl Foto: dpa

Der Wahlsonntag könnte auch die Bundespolitik erschüttern. Im Fokus steht dabei ganz besonders die SPD: In Berlin wird bereits über personelle Konsequenzen einer Wahlschlappe nachgedacht.

Berlin - Am Sonntag stehen weder SPD-Chefin Andrea Nahles, noch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zur Wahl, es geht auch nicht um die Zusammensetzung der Bundesregierung. Abgestimmt wird über die Besetzung des Europaparlaments, die Bürgerschaft in Bremen sowie in mehreren Bundesländern, darunter Baden-Württemberg, über die Kommunalparlamente. Der Wahlsonntag kann aber auch für die Bundespolitik Folgen haben:

Szenario 1: Es geht so weiter wie bisher

Vor fünf Jahren kamen CDU und CSU bei der Europawahl zusammen auf 35 Prozent, Umfragen sehen sie nun bei 28 bis 30 Prozent Zustimmung. Aber solange die Union am Ende deutlich vorne liegt und bei etwa 30 Prozent und somit noch einigermaßen in der Nähe des Bundestagswahlergebnisses von knapp 33 Prozent landet, dürfte sich der Frust in Grenzen halten.

Die SPD kam 2014 noch auf 27 Prozent, nun drohen ihr bei der Europawahl zweistellige Verluste, ein Ergebnis um die 20 Prozent wäre schon ein Erfolg. Große Bedeutung hat für die Partei aber auch die Wahl in Bremen, wo sie seit mehr als 70 Jahren regiert. Den Sozialdemokraten müssen dort mit 25 Prozent oder weniger das mit Abstand schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte befürchten, damit dürften sie hinter der CDU landen – eine Katastrophe für die SPD.

Im Willy-Brandt-Haus wird daher gehofft, dass Regierungschef Carsten Sieling wenigstens hauchdünn vorne liegt, um Anspruch auf die Regierungsbildung erheben zu können. Die Bremer Genossen setzen dafür auf das linke Lager: Koalitionen mit CDU und FDP hat Sieling ausgeschlossen, bliebe ein Bündnis mit Grünen und Linken. Für die bisherige rot-grüne Koalition wird es nicht mehr reichen.

Wenn die SPD in Bremen knapp die Oberhand behält und sie ebenso wie die Union mit dem Europawahlergebnis einigermaßen zufrieden ist, wird die Bundesregierung wie bisher ihre Arbeit fortsetzen. Nächster Belastungstest sind dann im Herbst die Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

Szenario 2: Kabinettsumbildung

In beiden Lagern gibt es Forderungen, durch eine Kabinettsumbildung ein Zeichen zu setzen. Die SPD muss sowieso Justizministerin Katarina Barley ersetzen, die ins EU-Parlament wechselt. Ein Fragezeichen steht hinter Familienministerin Franziska Giffey, da die Freie Universität Berlin derzeit wegen Plagiatsvorwürfen die Doktorarbeit der 41-Jährigen prüft. Dreht sich das Personalkarussell einmal, könnte es Nahles aus dem Sitz der Fraktionsvorsitzenden schleudern. Manche in der SPD halten sie für überfordert mit ihrer Doppelaufgabe als Parteichefin und Vorsitzende der Bundestagsfraktion.

Auf Unionsseite gibt es Stimmen, die eine Kabinettsumbildung bei einem Europawahl-Ergebnis unter 30 Prozent als erforderlich bezeichnen. Bildungsministerin Anja Karliczek, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (alle CDU) gelten als Wackelkandidaten. Um Innenminister Horst Seehofer ist es nach dem Chaos-Auftakt der Koalition ruhiger geworden. Mit seinen vielfältigen Aufgaben, zu denen auch der Bereich Bauen und Wohnen zählt, ist der CSU-Politiker aus Sicht mancher aber überfordert.

Der Zeitpunkt für eine Kabinettsumbildung ist jetzt deutlich geeigneter als etwa nach den Landtagswahlen im Herbst. Denn so hätte das Kabinett bis zum Beginn der halbjährigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft Mitte 2020 ein Jahr Zeit, voll in den Arbeitsmodus zu kommen.

Szenario 3: Wechsel im Kanzleramt

Bisher hat Kanzlerin Angela Merkel allerdings keine Minister rausgeworfen, wenn Wahlergebnisse schlecht waren. Auch werden sich in diesem Fall viele in der CDU fragen, welchen Posten Friedrich Merz bekommt. Teile der Partei sehnen sich danach, dass er Merkels Vertrauten Altmaier als Wirtschaftsminister ablöst. Das wäre in einem von Merkel geführten Kabinett allerdings undenkbar. Somit wirft eine Kabinettsumbildung die Frage auf, ob Merkel das Kanzleramt zugunsten von Kramp-Karrenbauer räumt. Konservative Unionsvertreter fordern das seit Längerem.

Zuletzt betonte die Kanzlerin allerdings mehrfach, keineswegs die Lust am Regieren verloren zu haben. Auch Kramp-Karrenbauer steht bislang offiziell zu der vereinbarten Arbeitsteilung, nach der Merkel bis 2021 Kanzlerin bleibt. Ein Wechsel an der Regierungsspitze wäre auch nicht so leicht umzusetzen, eine Übergabe des Amtes innerhalb der Legislaturperiode entspreche „nicht dem Geist des Grundgesetzes“, warnt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU).

Außerdem will die SPD bislang Kramp-Karrenbauer nicht zur Kanzlerin wählen. Bliebe ihr ein Wechsel der Koalitionspartner hin zu Jamaika, die FDP dürfte dazu bereit sein. Scheitern könnte dies aber an den Grünen. Die Partei erreicht in Umfragen bis zu 20 Prozent. Das ist mehr als doppelt so viel als bei der Bundestagswahl. Die Umweltpartei dürfte dies erst bei Neuwahlen ausnutzen wollen, bevor sie sich an Gesprächen über eine Regierungsbildung beteiligt.

Szenario 4: Neuwahlen

Die Spitzen von Union und SPD haben kein Interesse an Neuwahlen, das gilt besonders für die Sozialdemokraten. Dabei habe derzeit niemand etwas zu gewinnen, heißt es in der Koalition. In der Union gibt es allerdings die Sorge, dass die SPD-Führung um Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz aufgrund eines enormen Drucks aus der eigenen Partei die Nerven verliert und die Koalition verlässt.