Die neue EU-Kommissionspräsidentin: Ursula von der Leyen Foto: picture alliance/dpa

Das Parlament hat es verkündet: Ursula von der Leyen ist die neue Kommissionspräsidentin. Sie wurde knapp an die Spitze gewählt.

Straßburg - Die Abgeordneten des Europaparlaments haben mehrheitlich für Ursula von der Leyen als neue Chefin der EU-Kommission gestimmt. Das ergab ein Parlamentsvotum am Dienstagabend in Straßburg.

Die bisherige Bundesverteidigungsministerin erhielt am Dienstag mit 383 von 747 Stimmen äußerst knapp die notwendige absolute Mehrheit im Europaparlament, wie Parlamentspräsident David Sassoli mitteilte. Von der Leyen wird damit am 1. November Nachfolgerin des scheidenden Amtsinhabers Jean-Claude Juncker aus Luxemburg.

Von der Leyen bedankte sich in einer ersten Reaktion für das Vertrauen. „Ich fühle mich so geehrt“, sagte die scheidende Bundesverteidigungsministerin. Sie bot dem Parlament eine enge Zusammenarbeit an. Vizekanzler Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas (beide SPD) gratulierten von der Leyen direkt nach der Verkündung des Ergebnisses - und das, obwohl die deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament gegen die CDU-Frau stimmen wollten.

Als Kommissionspräsident kann von der Leyen in den nächsten fünf Jahren politische Linien und Prioritäten mitbestimmen. Sie wird Chefin von mehr als 30 000 Mitarbeitern in der Kommission. Diese ist dafür zuständig, Gesetzesvorschläge zu machen und die Einhaltung von EU-Recht zu überwachen. Sie bestimmt damit auch den Alltag der gut 500 Millionen Europäer mit.

In Berlin will Bundeskanzlerin Angela Merkel nun sehr schnell über von der Leyens Nachfolge als Verteidigungsministerin entscheiden. „Es wird eine sehr schnelle Neubesetzung geben“, sagte Merkel am Dienstag. In Berlin verdichteten sich Spekulationen, wonach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (39) für das Amt gesetzt ist. Von der Leyen hatte schon am Montag ihren Rücktritt als Ministerin angekündigt, um sich voll der Aufgabe in Brüssel zu verschreiben.

Vor der Abstimmung im Straßburger Europaparlament hatte es sehr viel Unmut gegeben, weil von der Leyen keine Spitzenkandidatin zur Europawahl war. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten die Spitzenkandidaten Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei und Frans Timmermans von den Sozialdemokraten übergangen und stattdessen von der Leyen als Überraschungskandidatin präsentiert.

Die SPD-Europaabgeordneten, die Grünen und die Linken hatten deshalb - und auch wegen inhaltlicher Differenzen - ein Nein angekündigt. Doch signalisierten die EVP, die Liberalen und die Mehrheit der Sozialdemokraten bereits vor der geheimen Abstimmung Unterstützung. Die rechtsnationale EKR, die von der Leyen ursprünglich ebenfalls Stimmen in Aussicht gestellt hatten, konnte sich letztlich nicht einigen und gab die Abstimmung frei; auch von dort könnten einige Stimmen gekommen sein.

In ihrer Rede am Vormittag hatte von der Leyen Einheit und Zusammenhalt beschworen, damit Europa sich in der Welt behaupten könne. Und sie wiederholte eine ganze Reihe von Zusagen, die sie bereits in den vergangenen Tagen an die Abgeordneten gemacht hatte, und unterfütterte sie mit Details.

Sie bekräftigte ihr Versprechen eines klimaneutralen Europas bis 2050 und einer Senkung der Treibhausgasemission bis um 55 Prozent bis 2030. „Unsere drängendste Aufgabe ist es, unseren Planeten gesund zu halten“, sagte von der Leyen. Sie betonte, sie werde sich für vollständige Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzen.

Große Internetkonzerne sollen nach ihrem Willen in Europa stärker besteuert werden. „Es ist nicht akzeptabel, dass sie Profite machen und keine Steuern zahlen“, sagte sie. Die Einführung einer Digitalsteuer in Europa war unter der Kommission von Jean-Claude Juncker am Widerstand einiger Staaten gescheitert. Sie sagte zudem vollen Einsatz der Kommission für die Rechtsstaatlichkeit zu - mit allen Instrumenten und mit einem neuen Rechtsstaatsmechanismus.

Sie schloss auch eine weitere Verschiebung des Brexits nicht aus - was Protestrufe der Brexit-Partei im Parlament auslöste. Eine Verlängerung der Austrittsfrist für Großbritannien wäre möglich, wenn es gute Gründe gäbe, sagte sie. Die Frist läuft derzeit bis 31. Oktober.

Ihre politischen Leitlinien legte von der Leyen in einem mehr als 20-seitigen Dokument dar, das am Dienstag zur Parlamentsabstimmung veröffentlicht wurde. Es trägt die Überschrift „Eine Union, die mehr erreichen will - Meine Agenda für Europa“. Arbeitsschwerpunkte darin sind unter anderem der Klimaschutz, die Wirtschafts- und Migrationspolitik sowie die Rolle der EU in der Welt. „Ich sehe die kommenden fünf Jahre als Chance für Europa - um zu Hause über sich hinauszuwachsen und damit eine Führungsrolle in der Welt zu übernehmen“, schreibt von der Leyen darin.

In der Debatte hatte es einigen Zuspruch für von der Leyen, aber auch drastische Kritik gegeben. Bis zuletzt war nicht ganz sicher, ob die Mehrheit zustande kommen würde. Die 16 SPD-Europaabgeordneten wollten auch nach der Rede bei ihrem Nein bleien. Ein Schreiben der CDU-Politikerin an die Fraktion habe zwar viele Forderungen der Sozialdemokraten aufgenommen, sagte der deutsche Gruppenchef der Sozialdemokraten, Jens Geier. Die Ankündigungen würden aber mit Skepsis gesehen. Letztlich signalisierten vor der Abstimmung aber etwa 100 der 153 Abgeordneten Zustimmung, also rund zwei Drittel.