Der Abgasbetrug bei VW ist im September 2015 aufgeflogen – die Folgen beschäftigen Gerichte vermutlich noch jahrelang. Foto: dpa

Das Landgericht Stuttgart will den Autozulieferer zur Offenlegung von E-Mails zum Dieselskandal bei Volkswagen zwingen. Hintergrund ist ein Prozess um Anlegerklagen gegen VW. Vertreter der Klägerseite sehen den Autobauer schwer belastet.

Stuttgart - Bosch muss vertrauliche Unterlagen zur zivilrechtlichen Aufarbeitung des Dieselskandals an das Landgericht Stuttgart herausgeben. Wie der zuständige Einzelrichter, Fabian Richter Reuschle, am Freitag verkündete, kann sich der Autozulieferer nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

Bei den Unterlagen handelt es sich um E-Mail-Wechsel zwischen Beschäftigten des Stuttgarter Zulieferers und VW-Mitarbeitern sowie einen Brief der Bosch-Rechtsabteilung an die Wolfsburger. Das Gericht hatte die Unterlagen im Zuge eines Verfahrens gegen die VW-Muttergesellschaft Porsche Automobil Holding SE angefordert. Anleger, denen durch den Kurssturz von Porsche-SE-Aktien Schaden entstanden ist, hatten die VW-Mutter wegen unterbliebener und verspäteter Informationen zur Dieselaffäre verklagt. Der Abgasbetrug war im September 2015 aufgeflogen, und die Wolfsburger gaben in der Folge die Manipulation an mehr als elf Millionen Fahrzeugen weltweit zu. Während sich das Unternehmen in den USA bereits mit zahlreichen Kunden geeinigt und milliardenschwere Entschädigungen gezahlt hat, läuft in Europa und Deutschland eine massive Klagewelle von geprellten Aktionären und Autobesitzern. Allein am Landgericht Stuttgart sind früheren Angaben von VW zufolge knapp 190 Verfahren gegen den Autobauer im Gange.

Aus den angeforderten Unterlagen soll im Kern hervorgehen, dass Bosch als Lieferant der Motorsteuerungssoftware frühzeitig vor der Nutzung von illegalen Abschalteinrichtungen gewarnt hat. In einem Papier aus dem Jahr 2008 hatte der Zulieferer wohl von VW verlangt, von jeglicher Haftung freigestellt zu werden, sollte der Autobauer die Software in unerlaubter Weise einsetzen. Gegen die Offenlegung der Unterlagen hatte sich Bosch unter anderem mit der Begründung geweigert, es handele sich um Geschäftsgeheimnisse und man wolle die Vertraulichkeit von Kundenbeziehungen nicht verletzen.

Bosch entsteht durch die Offenlegung kein Vermögensschaden

Die 22. Zivilkammer des Landgerichts wies diese Einwände von Bosch nun zurück. Das Zeugnisverweigerungsrecht, auf das sich der Konzern berief, setze voraus, „dass durch die Beantwortung der Frage ein unmittelbarer vermögensrechtlicher Schaden verursacht wird“, heißt es in der Begründung der Kammer. Dies sei nach Auffassung des Richters nicht der Fall. Bosch sei zudem als „bloßes Zulieferunternehmen“ nicht für den Schutz von Kapitalanlegern ihrer Vertragspartner verantwortlich. Das gelte „erst recht nicht“ gegenüber Anlegern der Porsche SE, zu denen Bosch „in keinerlei Geschäftsbeziehung“ stehe, so die Begründung weiter.

Auf ein Geschäftsgeheimnis könne sich Bosch nicht berufen, weil die Softwaremanipulation der Motorsteuerung eine wettbewerbswidrige Praxis sei, und für illegale Geheimnisse gelte ein Zeugnisverweigerungsrecht nur in engen Grenzen. Zudem drohe dem Stiftungskonzern selbst keine Strafverfolgung, erklärte Richter Reuschle mit Verweis auf Verjährungsfristen. Bereits beim letzten Verhandlungstermin im Juni hatte Reuschle signalisiert, er sehe wenig Chancen für Ansprüche gegen den Bosch-Konzern, der in einem anderen Verfahrenvor dem Landgericht Stuttgart ebenfalls verklagt wird.

Bosch äußerte sich am Freitag nur knapp zu dem Urteil. Der Konzern werde nach genauer Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung über weitere Schritte entscheiden. „Wir behalten uns ausdrücklich vor, Rechtsmittel einzulegen, um die Interessen von Bosch zu verteidigen“, heißt es weiter. Eine Beschwerde beim Oberlandesgericht gegen das Landgerichtsurteil müsste innerhalb 14 Tagen abgegeben werden.

Anwalt der Klägerseite sieht die Chancen auf Entschädigung steigen

Die Klägerseite im Verfahren wurde neben der Frankfurter Anwaltskanzlei Broich auch von der Tübinger Kanzlei Tilp vertreten. Deren Vertreter Axel Wegner begrüßte das Urteil am Freitag ausdrücklich: „Die Entscheidung des Richters kann wegweisend sein“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Reuschle habe in seiner Begründung über die Entscheidung zu den Bosch-Dokumenten hinaus „dezidierte Ausführungen“ gemacht, die den VW-Konzern nach Ansicht des Anwalts schwer belasten: Demnach habe der Konzern bereits im Geschäftsbericht für das Jahr 2009, der im März 2010 veröffentlicht wurde, falsche Angaben zur Erfüllung der Abgasvorschriften – Stichwort: sauberer Diesel – gemacht. „Das Urteil hilft damit allen geschädigten Anlegern weiter“, so Wegner.

Auch das Bosch nun die fraglichen Unterlagen vorlegen muss, begrüßte der Anwalt. „Uns geht es nicht darum, Bosch als Beklagte in Anspruch zu nehmen“, sagte Wegner. Der Zulieferer müsse vielmehr an der Aufklärung der Abgasaffäre mitwirken, indem er die dazu nötigen Dokumente offenlege. Allerdings rechnet der Klägervertreter nicht damit, die angeforderten Unterlagen vor Beginn eines Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig im Dezember zu erhalten.