160 Besucher interessierten sich für den „Deutschen Herbst aus heutiger Sicht“ mit Klaus Pflieger. Foto: factum/Weise

Zwischen Fakten, Stolz auf Fahndungserfolge und großem Ärger über Ermittlungspannen: Der ehemalige Staatsanwalt und RAF-Ankläger Klaus Pflieger berichtet bei der Volkshochschule aus seiner Sicht über den Deutschen Herbst.

Ditzingen - E r ist damals nicht geschont worden, und er schont heute seine Zuhörer nicht: Klaus Pflieger war von 1977 bis 2013 Staatsanwalt, er hat gegen die RAF ermittelt und Terroristen angeklagt. Menschen legten vor ihm ihre Lebensbeichte ab und gestanden Morde. „Mein Ziel war es immer, Menschen zum Reden zu bringen“, sagte Klaus Pflieger beim Semesterauftakt der Schiller-Volkshochschule am Donnerstagabend. 160 Zuhörer zog er im Ditzinger Bürgersaal in seinen Bann – die er mit vielem konfrontierte. Etwa mit Fotos vom ermordeten Hanns Martin Schleyer und den toten RAF-Mitgliedern Gudrun Ensslin und Andreas Baader, die sich im Gefängnis in Stammheim das Leben nahmen.

„Die Zeit war bleiern“, sagte der Volkshochschulleiter Jürgen Schmiedel am Anfang – und er schilderte, wie die Polizei damals auf der Straße junge Leute in einem verbeulten VW kontrollierte: Mit Maschinenpistolen im Anschlag. „Ich war einer mit dem verbeulten VW“, begann Pflieger und ergänzte: „Die Leute haben Angst gehabt.“ Und: „Wir haben überreagiert.“ Mit „wir“ meint er die Vertreter des Staats. Pflieger schilderte die Ereignisse jener Zeit: Im Großraum Stuttgart seien bei Kontrollen zwei Menschen erschossen worden.

Oberster Ankläger in Württemberg

Klaus Pflieger war allein 13 Jahre lang in der Bundesanwaltschaft tätig. Parallel zu den Ermittlungen gegen die RAF hatte er mit dem Attentat auf dem Münchner Oktoberfest 1980 zu tun, von 2001 bis zur Pensionierung 2013 war er als Generalstaatsanwalt oberster Ankläger in Württemberg. Chronologisch berichtete er über das Vorgehen der RAF, über die Morde an Generalbundesanwalt Siegfried Buback – dem die Terroristen wegen seiner Initialien SB den Decknamen „Margarine“ gaben – und andere RAF-Aktionen: Banküberfälle und die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer. Deren Ziel war die Freilassung von Mitgliedern der ersten RAF-Generation: Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe.

Die Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto, der missglückte Anschlag auf die Bundesanwaltschaft und die Entführung Schleyers mit der Ermordung seiner vier Begleiter: Pflieger ließ nichts aus, schilderte auch die Tat von 1975, welche die RAF-Leute zu weiteren Anschlägen ermutigt hatte: die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz. „Die Regierung Schmidt hat sich erpressen lassen, fünf Terroristen wurden freigelassen, das hat Lorenz das Leben gerettet.“ 1977 folgte die Flugzeugentführung der „Landshut“, die Befreiung in Mogadischu und die Nacht von Stammheim mit den Selbstmorden. Pflieger: „Wir haben alle die Luft angehalten.“ Alleine die Chronologie der Ereignisse im Schnelldurchlauf taugt noch 40 Jahre danach für die Dramaturgie eines Abends.

Folgenreiche Fehler bei der Fahndung

Der 70-Jährige berichtete, wie Ermittlungen abliefen, auch gegen die Rechtsanwälte, die ihre Mandanten im Gefängnis unterstützten, welche folgenreichen Fehler bei der Suche nach Schleyer passierten. In die emotionslose, fast kühle Schilderung der Fakten mischen sich auch Gefühle: Etwa, wenn der Staatsanwalt sein Verhältnis zu Peter-Jürgen Boock, dem Terroristen, aufleben lässt. Diese Begegnung wirkt wohl immer noch.

Menschlich wurde es auch beim anschließenden Gespräch Pfliegers mit Redakteuren unserer Zeitung. Franziska Kleiner sprach Pfliegers Zeit als Haftrichter an. Er habe jedem Beschuldigten die Hand gegeben, schilderte er: „Das fällt schon schwer, wenn der seine Frau umgebracht hat.“ Und er habe alle als Mensch behandelt. „Ich habe alle Register gezogen, um die Wahrheit herauszufinden.“ Auf eine Frage von Rafael Binkowski räumte er aber ein, dass dies nicht immer funktionierte. Brigitte Mohnhaupt zum Beispiel habe partout nicht mit ihm reden wollen. Dennoch: „Ich kann einen gewissen Stolz nicht verheimlichen“, sagte er gleich zweimal. Und auch 20 Jahre nach dem Ende der RAF müsse man wachsam sein vor der Entstehung immer neuen Terrors.

Familien wollen die Täter kennen

„Empathie für Täter und Opfer, wie passt das zusammen?“ fragte Kleiner. Das sei immer ein Spagat, meinte der Jurist. Die Familien der RAF-Opfer Schleyer und Buback wollten wissen, wer damals getötet habe. Um das Schweigen der Täter zu brechen, plädiert Pflieger dafür, einen verurteilten Mörder nicht erneut anzuklagen, sollte er einen zweiten Mord gestehen.

Über eines ärgert sich Pflieger: Dass der Tod der Bankiersgattin Maria Bögerl von 2010 nicht aufgeklärt wurde. Auch für diesen Fall war er zuständig. Der Abend über Menschen, über Grausamkeiten und eine aufregende Zeit in Deutschland endet nach drei Stunden. Auch Chris Frank (Gitarre) und Philipp Braun (Gesang) haben die 70er-Jahre in Erinnerung gerufen: Mit Liedern der Beatles („Imagine“) und von Simon und Garfunkel („Sounds of Silence“). Eine emotionale Achterbahnfahrt.

Die Schiller-Volkshochschule

Angebot
Die Schiller-Volkshochschule (VHS) im Landkreis Ludwigsburg bietet im Jahr rund 1700 Veranstaltungen an, auch in Ditzingen und Hemmingen. Die Themen sind sehr vielfältig. Näheres unter www.schiller-vhs.de oder telefonisch unter 0 71 41/144 26 66.

Dozent
Klaus Pflieger ist bei der Schiller-VHS als Dozent in den Bildungswerkstätten aktiv. Seine nächste Veranstaltung findet am Donnerstag, 12. April, in Freudental statt. Das Thema lautet dann: „Die Geschichte der RAF – ist die RAF Geschichte?“