Der Stuttgarter Gökay Sofuoglu warnt davor, wegen eines Vorfalls gleich die Integrationsleistung des Sports in Frage zu stellen. Foto: dpa

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hält die Aufregung über die Fotos der Nationalspieler Özil und Gündogan mit Staatspräsident Erdogan für übertrieben.

Stuttgart - In der türkischen Community werden die Bilder von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatspräsidenten auch strittig diskutiert, sagt Gökay Sofuoglu, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland.

Herr Sofuoglu, die Fußball-Nationalspieler Özil und Gündogan werden in Deutschland hart kritisiert, weil sie sich mit Erdogan haben ablichten lassen – zurecht?
Ich glaube nicht, dass sie im Vorfeld gewusst haben, was sie da tun – und jetzt realisieren sie, welche Diskussionen sie ausgelöst haben. Wenn man bedenkt, dass sie sich bisher nicht politisch geäußert haben, ist ihnen wohl auch nicht mehr geheuer, dass sie sich von einem im Wahlkampf befindlichen Staatspräsidenten haben instrumentalisieren lassen. Die Initiative wird eher von Erdogan ausgegangen sein, der genau gewusst hat, was er damit verursacht.
Setzen wir bei Fußballspielern zu viel politisches Fingerspitzengefühl voraus?
Fußballspieler zeigen seit Jahrzehnten kein großes politisches Bewusstsein – seitdem sich Ewald Lienen damals politisch engagiert hat. Ich kenne die Beweggründe der beiden nicht. Sie zeigen sich in letzter Zeit gerne mit bekannten Persönlichkeiten in den sozialen Netzwerken. Und erst später stellen sie fest, was dies bewirkt.
Özil und Gündogan gelten als Idole und haben demzufolge eine Vorbildrolle für junge Deutsch-Türken?
Beide Spieler zeigen eine fußballerische Leistung und demonstrieren mit anderen eine Vielfalt in der Nationalmannschaft. Aber sie als integrative Vorbilder für die Allgemeinheit herzuzeigen, halte ich für übertrieben. Mir sind die beiden mit eigenen Beiträgen in der Diskussion über Integrationsthemen nie groß aufgefallen, geschweige denn was Rassismus und Rechtsradikalismus angeht.
Auch die Kanzlerin hat sich nach dem WM-Sieg 2014 bewusst mit den Spielern als Integrationsfiguren ablichten lassen?
Sie hat auch Boateng, Podolski und andere in der Kabine umarmt – als siegreiche Spieler, nicht als Integrationsfiguren. Da kann man diese Rolle nicht nur bei den türkischstämmigen Spielern festmachen. Man muss sie als Fußballer sehen, weshalb ich gut finde, dass sie von Joachim Löw noch einmal für die WM nominiert wurden.
Das Mitsingen der Nationalhymne ist für Sie keine Pflicht?
Ich finde es problematisch, dass man das Mitsingen nur mit Mesut Özil in Verbindung bringt – auch viele andere, selbst sogenannte Biodeutsche, singen die Hymne nicht mit. Das ist eine ganz persönliche Haltung, und man sollte darin nicht so herum bohren. Man darf Deutschtümelei nicht nur bei den Migranten festmachen, die aus der Türkei stammen.
Was bewirkt die heftige Kritik von Politik und Medien an den Spielern in der türkischen Gemeinde – eine weitere Spaltung?
Die türkische Gemeinde in Deutschland ist seit Jahren gespalten, in letzter Zeit etwas mehr. Der Fall Özil und Gündogan wird eher so diskutiert, dass deutsche Medien wieder mal ein Thema gefunden haben, um die Türkei-Feindlichkeit zu schüren und rechtsradikale Ressentiments zu bedienen. Es gibt aber nicht die eine Gemeinde – die türkische Community diskutiert über Özil und Gündogan genauso kontrovers wie die deutsche. Ein Teil sieht Erdogan als ihren Staatspräsidenten und wirbt für ihn. Dort werden die Fotos der Spieler mit ihm als ganz selbstverständlich angesehen. Es gibt aber gleichfalls Stimmen, wonach diese Spieler aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen werden sollten.
Die Medien in der Türkei zeigen kein Verständnis für die deutsche Kritik an den Spielern – schüren sie den Konflikt in der Community hierzulande?
In der Türkei schwingen einige Medienanstalten und regierungsnahe Zeitungen sofort die Nazikeule, sobald in Deutschland über die Türkei diskutiert wird. Jede Art von Kritik gleich bei welchem Ereignis setzen sie sehr schnell mit Hitler-Deutschland gleich. Das ist ein schlechtes Niveau der neuen türkischen Medien.
Besteht die Gefahr, dass nun die Integrationsleistung des Sports in Deutschland in Frage gestellt wird?
Dies will jetzt zum Beispiel die AfD schüren. Doch Spieler wie Emre Can sind der Einladung nicht gefolgt. Und ich kann mir vorstellen, dass viele andere türkischstämmige Sportler dies ebenso gehalten hätten. Insofern halte ich es für sehr sehr übertrieben, aufgrund von ein, zwei Fotos die ganze Integrationsleistung in Frage zu stellen.